Welcher Blutzucker ist normal?

© hriana – fotolia.com
Durch die kontinuierliche Glukosemessung (GGM) können insulinbehandelte Diabetiker ihre Glukosewerte heute praktisch rund um die Uhr beobachten? Aber welche Werte sind eigentlich normal? Diese Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten, sagt Prof. Dr. Stephan Martin in der Ärztezeitung.

Real-Time-CGM-Systeme machen vieles möglich

Wer ein real-Time-System zur kontinuierlichen Glukosemessung (rtCGM) trägt, kann sich von der Flut der Glukosewerte schon mal überfordert fühlen. Hatte man durch die Blutzuckermessung punktuell nur vier- bis sechs Blutzuckerwerte am Tag zur Verfügung, sind es heute bis zu 288 Glukosewerte. Alle fünf Minuten wird der Wert bei den rtCGM-Systemen auf dem Display der Insulinpumpe bzw. des Empfängers aktualisiert. So lässt sich beobachten, wie die Werte steigen (z.B. nach dem Essen) oder fallen (z.B. beim Sport). Da stellt sich die Frage: “Welcher Wert ist eigentlich normal?

Auch bei Gesunden kann der Blutzucker stärker steigen

Diese Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten, meint Prof. Dr. Stephan Martin, Chefarzt für Diabetologie und Direktor des Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrums (WDGZ). “Wenn man als gesunder Mensch ohne Diabetes ein solches Messverfahren selber einmal nutzt, so ist man überrascht, wie hoch der Blutzucker ansteigt”, sagt Stephan in der Ärztezeitung online vom 26.1.17. Dass er nach dem Essen über 160 mg/dl (8,9 mmol/l) erreichen kann ist nicht ungewöhnlich, wie Untersuchungen der Arbeitsgruppe um Dr. Guido Freckmann am Institut für Diabetesforschung in Ulm gezeigt haben.

Blutzucker-Zielbereiche individuell festlegen

Menschen ohne Diabetes müssen sich keine Sorgen machen, selbst wenn der Blutzucker nach dem Genuss von reichlich Süßem stärker ansteigt. Bei ihnen schüttet die Bauchspeicheldrüse genügend Insulin aus, um den Blutzucker in einen “normalen” Bereich zu senken. Der liegt bei Gesunden zwischen 80 und 120 mg/dl (4,4 und 6,6 mmol/l). Bei Menschen mit Diabetes wird dieser Zielbereich vom Arzt dagegen individuell festgelegt. Er kann erher höher sein, zum Beispiel wenn es darum geht zu trainieren, Unterzuckerungen (Hypoglykämie) rechtzeitig wahrzunehmen. Er kann auch eher niedrig sein, z.B. wenn Frauen mit Diabetes ein Kind erwarten.

CGM-Systeme können die Diabeteseinstellung verbessern

Die Frage “Welcher Wert ist normal?” muss also bei Diabetikern individuell beantwortet werden. Die Erreichung des Glukose-Zielbereichs fällt jedenfalls leichter wenn man ein CGM-System trägt. Zu diesem Schluss kamen auch das IQWiG (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen) und der Gemeinsame Bundesausschuss (GB-A) 2016. Seit Herbst 2016 dürfen die Krankenkassen die Kosten für Real-Time-CGM-Systeme übernehmen.

FreeStyle Libre fällt nicht darunter

Aktuelle sind sechs rtCGM-Systeme am Markt: Medtronic 640G, Medtronic Veo, Animas Vibe Platinum (alle drei Insulinpumpen-gestützt) sowie Guardian Connect und Dexcom G4 und Dexcom G5 (alle drei Einzelgeräte). Kein Real-Time-CGM-System ist dagegen FreeStyle Libre. Auch wenn es nicht unter die Voraussetzungen für die Kostenübernahme fällt, “überbieten sich die gesetzlichen Krankenkassen – sogar durch gemeinsame Werbeprospekte mit der Herstellerfirma – ihren Versicherten das FreeStyle Libre anzubieten”, so Stephan. “Was bei den Krankenkassen anscheinend normal ist, würde bei uns Ärzten als ´von der Industrie gekauft”´ gebrandmarkt und als Korruption verfolgt werden, zeigt er sich erstaunt.
   

Kategorisiert in: , , ,

Dieser Artikel wurde verfasst von Heidi Buchmüller