Von alten Weisheiten und neuen Therapien

Von alten Weisheiten und neuen Therapien Highlights der 40. Jahrestagung der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) Wie geht man dem Bauchspeck ans Leder? Hilft dabei Krafttraining so gut wie Ausdauertraining? Warum scheuen Diabetiker Insulin? Werden Frauen häufiger zuckerkrank? Was hat der Blutzucker mit der Stimmung zu tun? Macht Diabetes depressiv? Und, last not least: Welche neuen Therapien stehen ins Haus? Eine Auswahl spannender Themen des diesjährigen Diabeteskongresses in Berlin. Auch diabetische Binsenweisheiten bleiben Weisheiten und müssen immer wieder betont werden: Mehr Bewegung, moderate Gewichtsabnahme (um 3 bis 6 kg) und gesunde Ernährung reduzieren um rund 60% das Risiko, an Diabetes und seinen Folgen wie Nieren-, Augen- und Nervenschäden zu erkranken, so Prof. A. Pfeiffer, Tagungspräsident des Jahreskongresses der Deutschen Diabetes-Gesellschaft. Für viele Menschen wäre es also sinnvoll, den eigenen Lebensstil überdenken. Ein Trost dabei ist, dass körperliche Aktivität und Abnehmen besonders gut bei besonders gefährdeten Patienten wirken: denjenigen mit Übergewicht (Body Mass Index über 25) und Fettsucht (Adipositas, BMI über 30). Wenn sie zusätzlich rund 600 Kilokalorien wöchentlich verbrauchen und sich ballaststoffreich ernähren, bessern sich sehr schnell ihre Insulinantwort und die Stoffwechsellage. Die Insulinresistenz geht quasi im selben Maß wie der Bauchumfang zurück. Krafttraining so erfolgreich wie Ausdauersport Aber was tun, wenn ein Ausdauertraining bei mehrfach erkrankten, alten oder stark übergewichtigen Diabetikern auf Akzeptanzprobleme stößt oder einfach nicht durchzuhalten ist? Bei diesen Patienten besteht eine sinnvolle Alternative in einem überwachten Krafttraining, berichtete Prof. Martin Halle, München. So senkt ein 4- bis 6-wöchiges Training moderater Intensität (40 bis 50% der maximalen Belastung) die Insulinresistenz um die Hälfte, senkt Blutzucker und Blutdruck, bessert die Stoffwechseleinstellung und die Blutfettwerte. Als Folge benötigten die untersuchten Patienten deutlich weniger Antidiabetika und erzielten einen Zuwachs an Kraft und Muskelmasse. Wird die Belastung auf 75 bis 80% gesteigert, bessern sich Laborwerte wie auch Muskelkraft noch weiter. “Prinzipiell unterscheiden sch die Verbesserungen nicht von denen durch ausdauerorientierte Belastung”, erklärte Prof. Halle. Die besten Ergebnisse für die Patienten lassen sich durch Kombination von Ausdauer- und Krafttraining erzielen. Wer an Krafttraining interessiert ist, sollte sich zuvor von seinem Arzt untersuchen lassen und lieber unter sportmedizinischer Anweisung trainieren. Prof. Halle empfiehlt ein bestimmtes Training großer Muskelgruppen mit langsamen Bewegungen ohne isometrische Belastungen alle 2 bis 3 Tage. Neue Marker für das Diabetesrisiko Auf welchen Wegen der Sport metabolische Änderungen anregt, wurde in Berlin ebenfalls besprochen. Sowohl akutes Ausdauer- als auch Krafttraining setzen zunächst entzündungsfördernde Stoffe frei (z.B. CRP, Interleukine 1 und 6 und TNF-alpha). Diese Anzeiger eines erhöhtem Herz-Kreislauf- und Diabetesrisikos werden durch regelmäßiges Training gesenkt. Gegenstand aktueller Forschung ist auch das Fettgewebe. Als besonders stoffwechselaktiv gilt das innere (viszerale) Fett, das die Bauchorgane umhüllt. Dieses Fettgewebe produziert Hormone wie Leptin, das den Appetit und die Insulinausschüttung erhöht. Das jüngst von deutschen Forschern in der angesehenen Wissenschaftszeitschrift Lancet beschriebene Adiponectin hingegen normalisiert die Insulinempfindlichkeit und bremst schädliche Entzündungsprozesse. Mit Zunahme des Fettgewebes nimmt der Anteil der schädigenden Fettgewebshormone stärker zu als der des schützenden Adiponectin zu. Einen zu niedrigen Adiponectin-Blutwert betrachten die Wissenschaftler heute als neuen Marker des Diabetesrisikos. Es gibt erst wenige Ärzte bzw. Labore, die entsprechende Bestimmungen durchführen. Warum scheuen viele Diabetiker Insulin? Mit Insulin verbinden die meisten Menschen die Spritze – und die Angst davor. Dass das Spritzen und Pieksen nicht die einzigen Aversionen sind, die Diabetiker gegen Insulin haben, fanden Forscher aus Bad Mergentheim heraus. An der dortigen Diabetesakademie war man mit diversen Fragebögen dem Ausmaß und der Art der Befürchtungen hinsichtlich einer Insulintherapie auf der Spur. In deiner Gruppe von 202 ambulanten Typ-2-Diabetikern standen 90 der anstehenden Insulinbehandlung positiv gegenüber, 112 eher negativ. Dipl.-Psych. Dr. Bernhard Kulzer listete die Bedenken und Ängste der Insulin-Ablehner auf:
  1. Gewichtszunahme (50% der Befragten)
  2. Verschlechterung der Therapie (41%)
  3. Endgültigkeit der Entscheidung für das Insulin (41%)
  4. Angst vor der Spritze und vor Schmerzen (33%)
  5. Überforderung durch die Insulintherapie (29%)
  6. Unterzuckerungen (25%)
Im Vergleich zu den Diabetikern, die dem Insulin offener gegenüberstanden, waren die Insulin-Skeptiker
  • häufiger weiblich (56% vs. 44%)
  • länger an Diabetes erkrankt
  • hatten höheres Übergewicht
  • und hatten einen höheren HbA1c (8,8 vs. 6,3)
Die deutlich schlechtere Stoffwechseleinstellung deuteten die Forscher als Hinweis auf eine eigentlich längst fällige Insulintherapie. Außerdem fanden sie bei den insulinskeptischen Patienten höhere Fragebogenwerte für Ängstlichkeit und Depressivität. Spiegelt die Stimmung den Blutzuckerwert? Auf eine engen Zusammenhang von Stimmung und Blutzucker deutet auch eine weitere Studie hin: 39 Typ-1-Diabetiker notierten mehrmals täglich auf einer Skala Werte für schlechte Laune, Ärger und Anspannung bzw. Glück und Energiegeladenheit. Währenddessen erfasste ein Glukosesensor kontinuierlich den Blutzucker, ohne dass die Probanden diesen Wert kannten. Die Auswertung zeigte, dass sich schlechte Stimmung am häufigsten im hypoglykämischen (Unterzucker) und im ausgeprägt hyperglykämischen Bereich (starker Überzucker) breit machte, gute Stimmungswerte am häufigsten während guter Blutzuckereinstellung. Das Ergebnis könnte die bei Diabetikern häufiger vorzufindende Depressivität und Ängstlichkeit erklären, so C. Scheff, Würzburg. Teufelskreis Depression und Diabetes Depressionen können die Folge von Diabetes sein oder auch deren Ursache. Die empfundenen Einschränkungen in der Lebensqualität – ständige Blutzuckerkontrollen, Essregeln, Scheitern von Lebensstiländerungen usw. – können beim (Prä-)Diabetiker ebenso wie Stress eine Depression auslösen, so Dr. F. Regen. Die Patienten lassen dann ihre Behandlung “schleifen”, die Stoffwechseleinstellung wird schlechter, Phasen von Über- wie von Unterzuckerung nehmen zu, Diabetes oder Folgeerkrankungen stellen sich schneller ein. Umgekehrt führen depressive Störungen bei zuvor Gesunden oft zu nachlässigem Lebensstil mit Rauchen, Übergewicht und Bewegungsmangel. Das wiederum erhöht das Risiko für die Zuckerkrankheit. Der Teufelskreis wird von vielen Ärzten nicht erkannt, meint Dr. Regen. Aber auch der Diabetiker selbst und seine Angehörigen sollten Symptome wie Niedergeschlagenheit, Mutlosigkeit, Antriebslosigkeit ernst nehmen und sich nicht scheuen, den Arzt darauf anzusprechen. Dieser wiederum muss eine Depression konsequent therapieren. Dies ist medikamentös in vielen Fällen möglich. Allerdings sollten jene Antidepressiva gemieden werden, die Gewichtszunahme und Fettstoffwechselstörungen begünstigen, da auch auf diesem Wege Prädiabetes oder Diabetes angestoßen werden kann. Sind Frauen durch Diabetes stärker gefährdet? Viel Intensiver als früher wird heute an Geschlechtsunterschieden von Erkrankungen geforscht. Sofern diese Krankheiten nicht die Sexualorgane betreffen, gibt es hier erstaunlich wenig gesichertes Wissen. “Wir ahnen heute mehr als dass wir wissen, dass der Blutzucker und die Glukosetoleanz bei Männern und Frauen unterschiedlich reguliert werden”, formulierte Frau Prof. Regitz-Zagrosek von der Charité in Berlin.
Schon seit 20 Jahren ist bekannt, dass ein Diabetes bei Frauen stärker als bei Männern Folgeerkrankungen der Gefäße verursacht. Diabetische Frauen haben ein höheres Risiko für einen Herzinfarkt und sterben auch häufiger an einem akuten Infarkt als diabetische Männer. Unstrittig ist auch die Gefährdung durch das polycystische Ovarialsyndrom (PCOS), an dem ca. 5% der geschlechtsreifen Frauen leiden. Beim PCOS liegen Zyklusstörungen, erhöhte Blutspiegel der männlichen Hormone mit entsprechenden Folgen (Damenbaart Behaarung) und Veränderungen an den Eierstöcken vor (polyzystische Ovarien). Beim PCOS läuft in späteren Jahren auch der Stoffwechsel aus dem Ruder: Das metabolische Syndrom mit Übergewicht (Adipositas), Bluthochdruck (Arterielle Hypertonie), Fettstoffwechselstörungen, Diabetes und Arteriosklerose stellen sich bei diesen Frauen früher und häufiger ein als bei Gesunden. Neue Therapien für Diabetiker Exendin-4 : Ein neuer hormonartiger Wirkstoff, das Exendin-4 (Exenatide®), ist in den USA für die Behandlung von Typ-2-Diabetikern zugelassen worden. Der aus dem Speichel einer Eechse (Heloderma suspectum) gewonnene Stoff wirkt wie das menschliche Darmhormon GLP-1 (Glucagon-like-Peptide-1), berichtete Prof. Michael Nauck, Bad Lauterberg. GLP-1 gibt der Darm nach den Mahlzeiten ins Blut ab; es stimuliert die Insulinfreisetzung, unterdrückt die Wirkung des Insulin-Gegenspielers Glukagon, verzögert die Magenentleerung und damit den Einstrom der Nährstoffe ins Blut. GLP-1-soll zu früherem Sättigungsgefühl und vermindertem Appetit führen und damit das Abnehmen erleichtern. Ferner lässt es die beim Diabetiker “geschrumpften” Insulin-produzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse wachsen. All diese Funktionen des natürlichen GLP-1 imitiert Exendin-4, weshalb die Forscher es als “Inkretin-Mimetikum” bezeichnen. Besonderer Vorteil: Der Wirkstoff setzt Insulin nur als Reaktion auf Nahrungsaufnahme frei und löst keine Unterzuckerungen aus. Die Zulassung des Präparates wird in Europa in ca. zwei Jahren erwartet. Inhalierbares Insulin: In etwa einem Jahr soll das erste inhalierbare Insulin auf den Markt kommen. Die Aufnahme als feinstes Pulver über die Lunge hat Vor- und Nachteile. Die Insulin-Wirksamkeit nach einem tiefen Atemzuges beträgt nur ein Zehntel bis ein Sechstel der Insulinspritze, d.h. es sind höhere Dosen an Insulin notwendig und die Therapie ist teurer. Die Wirkung setzt ebenso schnell ein wie sie wieder abfällt, d.h. die Therapie eignet sich nur als Bolus zum/nach dem Essen. Möglicherweise aber, so Prof. Nauck, fällt gerade Patienten mit großer Angst vor Spritzen der Einstieg in eine notwendige Insulinbehandlung mit dem einatembaren Insulin leichter. Doch auch ihnen bleibt das Pieksen nicht ganz erspart: Die ständige Blutzuckerkontrolle ist weiterhin notwendig.
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