Ist Diabetes „ansteckend“?
Patienten mit Diabetes stellen für den behandelnden Arzt meist eine besondere Herausforderung dar: Wenn sie an Infektionen erkranken, muss der Diabetes immer mit behandelt werden. Infektionen können dann auch gravierende Stoffwechselentgleisungen auslösen. Umso schwerer wiegt, dass Diabetes-Patienten im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung anfälliger für Infektionserkrankungen sind.Einige Infektionen verlaufen bei Diabetikern schwerer. Daher rät Privatdozent Dr. Ulrich Seybold von der Klinischen Infektiologie des Klinikums der Universität München diesen Patienten, sich an die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) in ihrer aktu-ellen Leitlinie vom Juli 2012 zu halten und sich z. B. einer jährlichen Grippeimpfung sowie einer Impfung gegen Pneumokokken, einen Erreger der Lungenentzündung, zu unterziehen.
Manche Erreger wie die Enteroviren stehen darüber hinaus im Verdacht, im Zusammenspiel mit anderen Faktoren Diabetes mellitus auszulösen. So tritt die Autoimmunerkrankung Typ 1 Diabetes gehäuft im Zusammenhang mit vorausgehenden akuten Infektionen auf. Zu ihnen zählen die Enteroviren 68-71, Echoviren, Polioviren und Coxsackieviren, die verschiedene Krankheitsbilder wie z. B. die Sommergrippe oder Magen-Darm-Erkrankungen hervorrufen. Professor Ulrike Protzer vom Institut für Virologie der TU München hofft für die Zukunft im Sinne der Diabetesprävention auf die Entwicklung einer Impfung, die gegen eine breite Gruppe der Enteroviren wirksam wäre.
Parodontitis erhöht das Risiko für Diabetes
Patienten, die an einer Parodontitis leiden, also einer chronischen Entzündung des Zahnfleisches mit Knochenabbau, haben ein doppelt so hohes Risiko, an Diabetes mellitus zu erkranken wie Personen mit gesundem Zahnfleisch. Umgekehrt fördert diese chronische Stoffwechselerkrankung die Entstehung von Parodontitis: So ist das Risiko bei Diabetes-Patienten um das Dreifache erhöht. Zahnarzt Dr. Jochen Schmidt von der Zahnarztpraxis Dr. Schmidt & Kollegen in Prien weist auf Studien hin, die eine Senkung des Langzeitblutzuckerwertes HbA1c nach einer Behandlung der Parodontitis belegen.
Ähnliche Entzündungsprozesse wie bei einer Infektion laufen nach Ausführungen von Privatdozent Dr. Martin Füchtenbusch (Forschergruppe Diabetes e. V., Helmholtz Zentrum München) beim Metabolischen Syndrom ab: Jahrelange Überernährung kann zu einer „metabolischen Inflammation“ führen. Das Metabolische Syndrom inklusive viszeraler Adipositas begünstigt die Entstehung von Typ 2 Diabetes. Bei Mäusen konnten nach einer fetthaltigen Diät Entzündungsherde in Hirn, Leber sowie in den für die Insulinproduktion zuständigen Betazellen der Bauchspeicheldrüse nachgewiesen werden. Dies kann weitreichende Auswirkungen haben: Es kommt u. a. zu einer Fehlfaltung körpereigener Proteine, was zum späteren Zelluntergang führen kann. Wie kann die Entzündung eingedämmt werden? „Körperliche Aktivität und nicht übermäßig essen haben eine antiinflammatorische Wirkung“, so Füchtenbusch. „Ebenso werden derzeit antiinflammatorische Medikamente bei Menschen mit einem hohen kardiovaskulären Risiko in großen Studien auf ihre Wirksamkeit hin untersucht.“
Eine ähnliche Therapieempfehlung – Sport und Gewichtsreduktion – gibt Professor Roland M. Schmid, Direktor der II. Medizinischen Klinik und Poliklinik am Klinikum rechts der Isar, im Hinblick auf eine Erkrankung der Leber im Rahmen des Metabolischen Syndroms, NASH (Nonalcoholic Steatohepatitis). Dabei handelt es sich um eine Fettleber mit zusätzlicher Entzündungsreaktion, die – ohne Einfluss von Alkoholmissbrauch – zur Leberzirrhose führen kann. Zwei Prozent der deutschen Allgemeinbevölkerung sind bereits von dieser nicht alkoholbedingten Zirrhose betroffen.
Ist Adipositas „ansteckend“?
Jeder vierte Deutsche ist krankhaft übergewichtig – Tendenz steigend. Dabei fällt auf, dass das Metabolische Syndrom gehäuft unter Menschen, die gut befreundet sind, grassiert. Einen Erklärungsansatz liefert Dr. Andreas Beyerlein vom Institut für Diabetesforschung, Helmholtz Zentrum München: „Je enger jemand mit einem Adipösen in Kontakt ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, selbst krankhaft übergewichtig zu werden“, so Beyerlein. Es handele sich dabei um einen sozialen, keinen geografischen Effekt. „Im näheren sozialen Umfeld nimmt die Akzeptanz von Übergewicht zu, und Ernährungsmuster von Freunden werden eher übernommen.“
Ungesunde Ernährungsmuster beeinflussen langfristig die Darmflora. Sie besteht aus Mikroorganismen, die je nach genetischer Veranlagung in unterschiedlicher Zusammensetzung den Darm besiedeln. Eine dauerhafte kalorienhaltige Ernährung geht jedoch mit einer Veränderung der Darmflora einher, was wiederum Effekte auf den Stoffwechsel, das Immunsystem und die Insulinresistenz hat. Bei der Insulinresistenz reagieren die Körperzellen zunehmend weniger empfindlich auf Insulin, das die Aufnahme des Blutzuckers (Glukose) in den Zellen reguliert. In der Folge entwickelt sich ein Typ 2 Diabetes. Eine Umstellung auf ballaststoffreiche Ernährung kann nach Aussage von Professor Hannelore Daniel vom Wissenschaftszentrum Weihenstephan der TU München die Mikroorganismen im positiven Sinne modulieren und damit unter anderem den Glukosestoffwechsel günstig beeinflussen. Daniel fasste ihren Vortrag mit folgendem Appell zusammen: „Sei freundlich zu deinen Mikroorganismen.“ Man könnte als Ergebnis der Veranstaltung ergänzend zusammenfassen: „Und bekämpfe – wenn möglich – Erreger, die Diabetes fördern.“
Möglich ist darüber hinaus eine „Schulung“ des Immunsystems: Das Institut für Diabetesforschung, Helmholtz Zentrum München untersucht in zwei Studien die Option einer Art „Impfung“ gegen Typ 1 Diabetes. In der Pre-POINT Studie erhalten Kinder aus Risikofamilien ein Insulinpulver, während in der INIT II Studie Kinder und Erwachsene, die bereits Anzeichen einer Autoimmunreaktion zeigen, Insulin als Nasenspray aufnehmen. Das Insulin wirkt in beiden Verabreichungsformen nicht auf den Blutzuckerspiegel ein, sondern trainiert das Immunsystem. Dadurch soll der Ausbruch von Typ 1 Diabetes verzögert oder sogar verhindert werden.
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