Dicker Bauch, hoher Zucker, krankes Herz
Novartis-Stiftung verleiht Preis für therapeutische Forschung
Die Zahlen wirken so ernüchternd wie erschreckend: Fast 50 Millionen Deutsche schleppen zu viel Speck mit sich herum; gut 15 Millionen leiden an Fettleibigkeit. Die Zuckerkrankheit gefährdet Leben und Wohlbefinden von sieben Millionen Menschen. Und etwa 50 Millionen Bundesbürger zeigen an den Innenwänden ihrer Adern krankhafte Veränderungen (Arteriosklerose), die oft zu Herzinfarkt und Schlaganfall führen. Wer dick ist, wird häufiger zuckerkrank! Wer zuckerkrank ist, wird häufiger herzkrank!
Die Phänomene hängen ursächlich zusammen. Nur wie? Das aufzuklären zählt derzeit zu den spannendsten Fragen der medizinisch-biologischen Wissenschaft.
Darum zeichnet die Novartis-Stiftung für therapeutische Forschung vier Projekte aus, die sich der Schnittstelle der Volkskrankheiten widmen.
Die Projektförderung in Höhe von 600.000 Euro bekommen zu gleichen Teilen die Forscherteams von:
- Prof. Dr. Jens Claus Brüning von der Universität Köln
- Dr. Stephan Herzig vom Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg
- Prof. Dr. Katrin Schäfer und Prof. Dr. Stavros Konstantinides von der Universität Göttingen
- Prof. Dr. Thomas Wirth und Prof. Dr. Walter Knöchel von der Universität Ulm
Grundlegende Aspekte
Im Zentrum des Dreiecks Übergewicht, Typ 2- Diabetes und Arterioklerose stehen zwei Prozesse:
Zum einen die “Insulin-Resistenz”. Physiologisch gesehen beruht der Typ-2-Diabetes auf einer Störung im Stoffwechsel des Bauchspeicheldrüsenhormons Insulin. Auf dessen Kommando nehmen vor allem Muskel- und Leberzellen den Zucker aus dem Blut auf. Beim Typ 2-Diabetes versiegt die Produktion von Insulin erst allmählich. Das Kommando ist also jahrelang noch da – aber die Zellen von Muskeln und Leber empfangen es nicht mehr richtig. Die molekularen Antennen (Insulin-Rezeptoren) auf ihrer Oberfläche, die das Hormonsignal aufnehmen und nach innen weitergeben, werden immer unsensibler. Gleichzeitig nimmt ihre Zahl stetig ab.
Zum anderen die Arteriosklerose als entzündlicher Prozess. Denn die Wucherungen in den Adern wachsen als Folge einer stetig fortschreitenden Entzündung. Meist schon in der Kindheit beginnend, haften sich Fresszellen (Makrophagen) an den Innenwänden der Gefäße an. Die Zellen rotten sich zusammen, wandeln sich, lagern haufenweise schädliches Cholesterin ein. So wächst eine entzündliche Ablagerung (“Plaque”) heran, deren Zellen stetig neue entzündungsfördernde Signalstoffe produzieren. Bricht die dünne Schutzschicht zwischen Plaque und Gefäßinnenraum auf, nimmt das Unheil seinen Lauf. Der Plaque löst sich und kann im Zuge einer Thrombose eine hauchdünne Herzkranzarterie verstopfen. Ergebnis: der Infarkt.
Projekte
Katrin Schäfer und Stavros Konstantinides aus der Abteilung Kardiologie und Pneumologie der Universität Göttingen beleuchten den Einfluss des Hormons Leptin auf die Entzündung in der Gefäßinnenwand. Leptin ist einer jener entzündlichen Signalstoffe, die Fettzellen produzieren. Dabei gilt: Je mehr Fett, desto mehr Leptin im Blut. Und das ist gefährlich. Denn vermutlich “hemmt Leptin als Bindeglied zwischen Übergewicht und Arteriosklerose natürliche Reparaturprozesse in der Gefäßinnenwand”, sagt Katrin Schäfer.
Konkret wandern normalerweise Blutstammzellen des Knochenmarks in die Plaques ein, um die geschädigte Gefäßwand zu reparieren – eine Art Rettungstruppe. Bei bestimmten Risikofaktoren für Herzkreislaufkrankheiten wie Typ 2-Diabetes oder Rauchen “ist die Rekrutierung dieser Zellen und damit der Heilungsprozess gestört”, betont die Preisträgerin. Für den Risikofaktor Übergewicht gibt es noch keine entsprechenden Studien.
Allerdings tragen diese Blutstammzellen den Rezeptor des Leptins auf ihrer äußeren Hülle. Die jetzt zu untermauernde These der Wissenschaftler: Bindet Leptin an diesen Rezeptor, löst es eine ganze Kette von Signalen aus, die die Reparatureinheit normalerweise erst aktivieren. Allerdings schütten fettleibige Menschen derart viel Leptin aus, dass die Rezeptoren abstumpfen. Und damit wird die körpereigene Rettungstruppe gegen die Arteriosklerose lahm gelegt. Langfristiges Ziel: Die Blutstammzellen so zu modulieren, dass sie wieder eingreifen können.
Stephan Herzig von der Abteilung Molekulare Stoffwechselkontrolle des Deutschen Krebsforschungszentrums Heidelberg verfolgt erste Hinweise, wonach nicht nur Muskel- und Leberzellen gegen Insulin resistent werden können. “Ein völlig neues Terrain”, erklärt der Stiftungs-Preisträger. Doch scheinen genau jene bei der Arteriosklerose so fatalen Fresszellen Insulin-Rezeptoren zu tragen, die abstumpfen könnten. Nach Herzigs Erkenntnissen produzieren insulinresistente Leber- und Muskelzellen ein Molekül namens RIP140 im Übermaß. Diese Substanz schaltet ganze Batterien von Genen an oder aus, die am Zuckerstoffwechsel beteiligt sind. Tatsächlich hat Herzig jetzt auch aktive RIP140-Moleküle in den Fresszellen nachgewiesen: “Wir glauben, dass RIP140 die fatale Cholesterinaufnahme und die Ausschüttung von Signalstoffen kontrolliert.” Ob die Annahme stimmt, sollen neue Studien zeigen. Parallel gilt es, die entscheidenden molekularen Details zu beschreiben. Denn das langfristige Ziel ist klar: RIP140 mit neuen Medikamenten zu entschärfen – und so die aggressiven Fresszellen zu zügeln.
Jens Claus Brüning vom Institut für Genetik der Universität Köln erforscht die molekularen Grundlagen einer fast eisernen Regel: Fast alle fettleibigen Menschen werden irgendwann insulinresistent. “Entzündungs-Signalstoffe des Fettgewebes von Übergewichtigen, sagt der Wissenschaftler, “spielen bei dieser Störung eine entscheidende Rolle.”
Dass etwa TNF-Alpha die Insulinresistenz ursächlich mit verursacht, gilt inzwischen als sicher. Etliche Indizien aus Zellkultur- und Tierversuchen haben gezeigt: Im Sinne eines echten Störfeuers beeinflusst das Entzündungssignal die Signalkaskade, die der Insulin-Rezeptor normalerweise “anwirft”.
“Somit verpufft das Insulin-Kommando wirkungslos – und der Zucker bleibt im Blut”, sagt Brüning. Ob auch der Botenstoff Interleukin-6 (Il-6) ähnlich fatal das Insulin-Kommando ausschaltet, will sein Team mit Knock-out-Mäusen herausfinden, die in ihren Muskel- und Leberzellen keine funktionsfähige Bindungsstelle für das IL-6-Molekül herstellen können. Der Plan: Diese Mäuse so lange zu mästen, bis sie fett sind. Sollten der Insulin-Signalweg dann immer noch ausreichend funktionieren, würde IL-6 tatsächlich zur Insulinresistenz entscheidend beitragen. Bestätigt sich das, folgt als nächster Schritt die molekulare Aufklärung des gestörten Stoffwechselweges, um Ansatzpunkte für neue Medikamente gegen die Insulinresistenz zu finden.
Thomas Wirth aus der Abteilung Physiologische Chemie und Walter Knöchel aus der Abteilung Biochemie der Universität Ulm haben die innerste Zellschicht der Gefäßinnenwand im Blick. Die Zellen dieses Endothels locken bei der Arteriosklerose die Fresszellen förmlich an – natürlich über entzündliche Prozesse. “Dabei scheint vor allem das Protein NF-KappaB die entzündliche Reaktion in den Endothelzellen zu regulieren und zu fördern”, erklärt der Preisträger. NF-KappaB wird etwa bei hohem Cholesterinspiegel oder bei Typ-2-Diabetes verstärkt gebildet. Dieses Molekül wiederum ist funktional eng verbunden mit zwei weiteren Signalwegen, die vom Gen-Schalter FOXO3 und dem Botenstoff TGFBeta1 ausgehen. “Beide Signalwege”, sagt Wirth, “wirken gemeinsam und hemmen anfangs die arteriosklerotische Entzündung.” Allerdings gewinnt offenkundig NF-KappaB die Überhand und blockiert den Schutzmechanismus.
In tierexperimentellen Studien will die Ulmer Arbeitsgruppe nun klären, ob ein Stamm eigentlich arterioklerose-anfälliger Mäuse gesund bleibt, wenn man FOXO3 quasi vor NF-KappaB schützt. Stellt sich das heraus, gilt es den Mechanismus der Inaktivierung zu entschlüsseln, um den Prozess ganz gezielt mit innovativen Medikamenten zu stoppen – auf dass die Gefäßwand von den Plaques befreit wird. |
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