Behandlung von Patienten ohne Risiko

Nachfolgend werden die Optionen zur Behandlung von Patienten ohne Indikatoren für ein hohes Risiko oder ohne vorhandene arteriosklerotische kardiovaskuläre Erkrankung (ASCVD), ohne chronische Nierenerkrankung (CKD) oder Herzinsuffizienz (HI) erläutert.

Die Ziele sind in zwei Schwerpunktthemen aufgeteilt:

Das Glukosemanagement und die Erhaltung bzw. Erlangung der Gewichtsziele

Liegt der HbA1c über dem festgelegten Ziel und bestehen keine kardiovaskulären Erkrankungen, kein Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen, keine chronische Nierenerkrankung und keine Herzinsuffizienz so richtet sich die Therapie wieder nach dem primären Ziel, das für den Patienten individuell erreicht werden soll.

Diese Ziele werden unterteilt in

  • Erreichung des vereinbarten Ziels der Blutzuckereinstellung
  • Vermeidung von Hypoglykämien bei Hochrisikopatienten

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Inkretine
Modifiziert nach: 4. Comprehensive Medical Evaluation and Assessment of Comorbidities: Standards of Care in Diabetes—2024 Diabetes Care 2024; 46 (Suppl. 1): Fig. 4.1, S53

Erklärung der Abkürzungen: GLP-1 RA, Glukagon-like-Peptide-1-Rezeptoragonist;; SGLT-2i, Natrium-Glukose-Contransporter-2-Inhibitor; TZD, Thiazolidindion

Ziel: Erreichen der vereinbarten Blutzuckerziele

Die initiale Pharmakotherapie beginnt mit Metformin als Monotherapie, bei Unverträglichkeit mit einem anderen Medikament, oder gleich als Kombinationstherapie von Metformin mit anderen wirksamen Substanzen.

Die weiteren einsetzbaren Medikamente werden nach ihrer Wirksamkeit unterteilt.

Eine sehr hohe Wirksamkeit haben die GLP-1 Rezeptoragonisten (Dulaglutid, Semaglutid, Tirzepatid) und Insulin.

Eine hohe Wirksamkeit haben andere GLP-1 Rezeptorantagonisten wie z.B. Liraglutid, Metformin, SGLT2 Inhibitoren, Sulfonylharnstoffe und Thiazolidindion.

Intermediär wirksam sind die DPP-4 Inhibitoren.

Ziel: Vermeidung von Hypoglykämien

DPP-4 Inhibitoren, GLP-1 Rezeptoragonisten, SGLT-1 Inhibitoren und Thiazolidindione senken den Blutzucker ohne Hypoglykämien zu verursachen.

Der Inkretineffekt wurde im vorherigen Abschnitt (Behandlung von Patienten mit Indikatoren …) beschrieben.
  • Inkretine regen die Betazellen der Bauchspeicheldrüse (Pankreas) an, Insulin auszuschütten.

  • Inkretine hemmen die Glukagon-Bildung in den Alphazellen des Pankreas (Glukagon setzt Glukose aus der Leber frei).

  • Inkretine verzögern die Magenentleerung, wodurch ein längeres Sättigungsgefühl entsteht, welches zu weniger Nahrungsaufnahme führt.

Die Wirkung der Inkretine wird begrenzt durch das Enzym Dipeptidyl-Peptidase-4 (DPP-4), das GLP-1 in wenigen Minuten abbaut.

GLP-1 ist ein Peptid aus 30 Aminosäuren (Peptid = organische Verbindung aus Aminosäuren).



Wird das Enzym DPP-4 gehemmt, wird GLP-1 verzögert abgebaut. Die Wirkdauer des körpereigenen GLP-1 ist verlängert und erhöht. Es besteht daher die Möglichkeit Medikamente zu entwickeln die das Enzym DPP-4 hemmen, sogenannte DPP-4 Inhibitoren.

Was Sie zu DPP-4 Hemmern wissen sollten

Mit den DPP-4 Hemmern (Gliptinen) lässt sich der HbA1c um ungefähr 0,8 bis 1 Prozent senken. In Kombination mit Metformin unterstützen die DPP-4 Hemmer die Gewichtsabnahme (ungefähr 1 kg). Hypoglykämien treten nicht auf. Insofern sind diese Medikamente auch bei älteren Patienten geeignet, bei denen es besonders wichtig ist Hypoglykämien zu vermeiden.

In Deutschland zugelassene DPP4-Hemmer:

  • Saxagliptin (Onglyza®)

  • Sitagliptin (Januvia®)

  • Vildagliptin (Galvus®)

Gliptine gibt es auch in Fixkombinationen mit Metformin: Saxagliptin: Komboglyze®; Sitagliptin: Janumet®, Velmetia®; Vildagliptin: Eucreas®, Icandra®; Fixkombination Sitagliptin + Ertugliflozin (Steglujan®) 100 mg/5 mg und 100 mg/15 mg. Linagliptin ist in Deutschland nur als Fixkombination mit Empagliflozin unter dem Namen Glyxambia® 25/5mg und 10mg/5mg zugelassen.

Der Patentschutz der DPP-4 Inhibitoren ist abgelaufen, sodass sie auch als Generika erhältlich sind. Die Wirksamkeit der Generika unterscheidet sich nicht von den Originalpräparaten.

Für die meisten zugelassenen DPP-4 Inhibitoren liegen große Endpunktstudien vor. In den Studien ergab sich kein erhöhtes Risiko für die Endpunkte Herzinfarkt, Schlaganfall und kardiovaskulärer Tod. In der Studie mit Saxagliptin ergab sich ein Anstieg der Krankenhausaufenthalte wegen Herzinsuffizienz. Warum dies in dieser Studie aufgetreten ist, ist unklar, da es in allen anderen Studien nicht zu einer Verstärkung der Herzinsuffizienz gekommen ist. Daher wird in den Leitlinien der Einsatz von Saxagliptin bei Patienten mit Herzinsuffizienz nicht empfohlen. Die Nebenwirkungen der DPP-4 Inhibitoren sind auf dem Niveau der Vergleichsgruppen, die Placebo erhalten hatten. In den Studien ergab sich kein erhöhtes Risiko für eine Entzündung der Bauchspeicheldrüse oder ein Karzinom der Bauchspeicheldrüse.

Werden mit der Kombination Metformin und einer der obigen Substanzen das individuelle HbA1c Ziel nicht erreicht, kann eine Kombination aus drei Medikamenten der obigen Substanzen gewählt werden. Dabei macht es keinen Sinn DPP-4 Inhibitoren mit GLP-1 Rezeptoragonisten zu kombinieren.

Glitazone (Thiazolidindion (TZD)) bei Typ-2-Diabetes

Pioglitazon (Actos®) wird auch als „Insulinsensitizer“ (Insulin-Sensibilisierer) bezeichnet. Pioglitazon erhöht nicht die Insulinproduktion, sondern macht die Zellen sensibler für vorhandenes (körpereigenes und gespritztes) Insulin. Es senkt die „Insulinresistenz“ und damit den Insulinbedarf des Körpers. In der Folge sinkt der Blutzucker – nüchtern und nach den Mahlzeiten. Die Senkung des HbA1c beträgt ungefähr 1%. In einer großen Studie konnte gezeigt werden, dass Pioglitazon das Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall und kardiovaskulären Tod nicht erhöht. Pioglitazon ist kombinierbar mit allen anderen blutzuckersenkenden Substanzen. Es kann auch bei Niereninsuffizienz eingesetzt werden. Nachteile sind, dass es zu einer leichten Gewichtszunahme führt und es eine bestehende Herzinsuffizienz verschlechtern kann. Bei postmenopausalen Frauen ist auch die Frakturrate erhöht und es besteht ein Verdacht, dass es eventuell das Risiko für ein Blasenkarzinom erhöhen kann.

In einer großen englischen Datenbankstudie mit über 90.000 Patienten wurde über einen Beobachtungszeitraum von 1990-2005 die Sterblichkeit von Sulfonylharnstoffen im Vergleich zu Metformin und Pioglitazon im Vergleich zum Metformin verglichen (I. Tzoulaki et al. BMJ 2009,339:b4731). Bei Patienten, die mit Sulfonylharnstoffen behandelt wurden, war die Sterblichkeit im Vergleich zu Metformin um ungefähr 40 % erhöht. Trotz des eventuell vorhandenen erhöhten Risikos für ein Blasenkarzinom, war das Risiko in der mit Pioglitazon behandelten Gruppe zu versterben, um 40 % im Vergleich zu Metformin reduziert. Es gibt keine Diskussion Sulfonylharnstoffe aufgrund ihres günstigen Preises von der Verordnungsfähigkeit durch die gesetzlichen Krankenkassen auszuschließen. Pioglitazon wurde aufgrund der bestehenden Risiken von der Verordnungsfähigkeit ausgeschlossen. Von der Verordnungsfähigkeit ausgeschlossen heißt, dass es für Kassenpatienten nicht zur Verfügung steht. Es ist weltweit zugelassen und kann auch in Deutschland auf eigene Kosten weiter verordnet werden und die Bezahlung wird von den Privatkassen übernommen.

Ziel: Gewichtsreduktion oder Vermeidung von Gewichtszunahme

In den Leitlinien wird nun endlich ein Fokus auf das wesentliche Problem der meisten Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 gelegt: das Übergewicht bzw. die Adipositas.

Zunächst muss man realistisch abschätzen, was bei einem individuellen Patienten erreichbar ist. Allerdings muss diese Einschätzung auch an die neuen Möglichkeiten angepasst werden. Wir hatten in der Vergangenheit, außer den üblichen Maßnahmen wie Lebensstilveränderungen, Ernährungstherapie und ein intensiviertes strukturiertes Gewichtsreduktionsprogramm keine Möglichkeit eine Gewichtsreduktion zu erreichen. Diese Maßnahmen erwiesen sich bei der großen Mehrheit der Übergewichtigen und Adipösen als nicht wirksam. Viele Ärzte haben daher aufgegeben mit ihren Patienten ihr wesentliches Problem, das Gewicht, anzugehen. Mit den GLP-1 Rezeptor Agonisten, den SGLT2 Inhibitoren und der bariatrischen Chirurgie stehen nun wirksame Therapieoptionen zur Verfügung, mit der sich jetzt bei fast allen Patienten eine deutliche Gewichtsreduktion erreichen lässt.

  • Sehr hochwirksame Medikamente sind: Semaglutid und Tirzepatid

  • Hochwirksame Medikamente sind: Dulaglutid, Liraglutid

Intermediär wirksame Medikamente sind der GLP-1 Rezeptoragonist, die oben nicht aufgeführt sind, und SGLT2 Inhibitoren.

Gewichtsneutral sind die DPP-4 Inhibitoren und Metformin. Mit der Kombination aus DPP-4 Inhibitoren und Metformin kommt es in einigen Studien zu einer geringen Gewichtsreduktion von 1 bis 2 kg.

Bei übergewichtigen Patienten, somit fast alle Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 sollten möglichst keine Sulfonylharnstoffe oder Insulin eingesetzt werden, da dies mit einer signifikanten Gewichtszunahme verbunden ist.

Leider haben Sulfonylharnstoffe immer noch einen sehr großen Verordnungsanteil. Der wesentliche Grund warum sie eingesetzt werden ist der Preis. Sulfonylharnstoffe sind billig und man nimmt daher die Risiken der Gewichtszunahme und der Unterzuckerung, die teilweise tödlich sein können, in Kauf.

Sulfonylharnstoffe (SH) bei Typ-2-Diabetes

Sulfonylharnstoffe wirken auf die Betazellen und führen zu einer Insulinausschüttung.


Bild: Prof. Dr. Dr. Klaus Kusterer



Zu den noch verfügbaren Sulfonylharnstoffen gehören:

  • Glibenclamid

  • Gliclazide

  • Glimepirid

Die Glinide

  • Repaglinide

  • Nateglinide

regen ebenfalls die Ausschüttung von Insulin aus den Betazellen an. Sie werden auch als Sulfonylharnstoffanaloga bezeichnet.

Sulfonylharnstoffe senken den Blutzucker und damit den HbA1c nur für eine kurze Zeitdauer. Dies wurde erstmals in der großen englischen UKPDS Studie am Beispiel von Glibenclamid gezeigt (siehe Abbildung unten) und hat sich in allen länger dauernden Studien bestätigt. Nach spätestens zwei Jahren ist wieder der Ausgangswert des HbA1c erreicht und dann steigen die Blutzuckerwerte kontinuierlich an.

Bild: Prof. Dr. Dr. Klaus Kusterer


In mehreren großen Vergleichsstudien zwischen Metformin und Sulfonylharnstoffen konnte gezeigt werden, dass bei den Patienten, die mit Sulfonylharnstoffen behandelt werden, früher ein zweites Diabetesmedikament eingesetzt werden musste, als bei den Patienten, die mit Metformin behandelt wurden. Dadurch, dass die Sulfonylharnstoffe Insulin aus den Betazellen freisetzen, führt eine Behandlung mit Sulfonylharnstoffen zu einer früheren Erschöpfung der noch vorhandenen Betazellen. Sulfonylharnstoffe haben auch den Nachteil, dass sie zur Gewichtszunahme führen (Siehe Abbildung). Weiterhin stehen Sulfonylharnstoffe in dem Verdacht, dass sie das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall um 20-30 % erhöhen. Gliclazide und Repaglinide erhöhen das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall nicht. Dies liegt vermutlich an ihrer kürzeren Wirkdauer. Sulfonylharnstoffe können auch zu Unterzuckerungen führen. Insbesondere Patienten mit Leber und Niereninsuffizienz sind dadurch gefährdet. Eine Unterzuckerung, die durch Sulfonylharnstoffe verursacht wird, ist lebensgefährlich. Sie erfordert immer eine stationäre Einweisung mit Überwachung über mehrere Tage. Aufgrund der geringen Kosten werden Sulfonylharnstoffe noch immer sehr häufig verordnet. Wegen der obigen gefährlichen Nebenwirkungen ist es jedoch ethisch nur noch schwer vertretbar, Sulfonylharnstoffe in der Behandlung einzusetzen.

Kostengünstig sind auch die Thiazolidindione. Pioglitazon wurde, aufgrund der bestehenden Risiken eine Herzinsuffizienz zu verschlechtern, von der Verordnungsfähigkeit zulasten der gesetzlichen Krankenkassen ausgeschlossen und ist daher nur bei Privatpatienten einsetzbar.

Acarbose bei Typ-2-Diabetes

Acarbose kommt in den neuen Empfehlungen zur Glukose senkenden Therapie bei Typ 2 Diabetes nicht mehr vor. Acarbose hat nur eine geringe, den Blutzucker senkende Wirkung. Ungefähr die Hälfte der Patienten muss wegen Blähungen die Therapie abbrechen. In einer großen Studie (UKPDS) über zwei Jahre war die HbA1c Senkung 0,2 %. Es ist daher selten sinnvoll, Acarbose als Zusatzmedikation zu Metformin oder als Monotherapie einzusetzen.

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Dieser Artikel wurde verfasst von Prof. Dr. Klaus Kusterer