“Springendes Gen” – Neue Erkenntnisse beim Typ-2-Diabetes
Das Wissenschaftsteam von Prof. Dr. Dr. Joost aus dem Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke(DIFE) entdeckte ein neues Diabetesgen. Das springende Gen vermindere die Aktivitäten des Risikogens. Es existiert ein Mechanismus, der dicke Mäuse weniger anfällig macht für Diabetes. Das springende Gen hemmt und schwächt die Wirkung eines neuen Risikogens für Tpy-2-Diabetes.
Interview von Susan Röse mit Prof. Dr. Dr. Joost
Herr Prof. Dr. Dr. Joost, können Sie sich bitte kurz vorstellen (wer sind Sie, wo arbeiten Sie, welche Studie betreuen Sie aktuell, welche noch offenen Fragen werden geklärt)?
Seit 2002 bin ich wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke und gleichzeitig Inhaber des Lehrstuhls für Pharmakologie der Universität Potsdam. Meine aktuellen Forschungsgebiete sind die Genetik der Adipositas und des Typ-2-Diabetes. Neben Ernährung und Lebensstil beeinflusst das Genom zu etwa 50 Prozent das Risiko für Typ-2-Diabetes. Da sich das Erbgut von Mensch und Maus sehr ähnelt, nutzten wir Mausmodelle, um noch unbekannte Krankheitsgene zu identifizieren. Anhand der Genfunktionen wollen wir einen tieferen Einblick in die Entstehungsmechanismen der Erkrankung bekommen, um beispielsweise neue Strategien für Medikamententherapien zu entwickeln. Obwohl Typ-2-Diabetes schon lange bekannt ist, weiß man doch erstaunlich wenig über die molekularen Mechanismen, die zur Entstehung der Krankheit beitragen.
Erst kürzlich wurden die Ergebnisse Ihrer Forschungsarbeit veröffentlicht, können Sie Ihre Forschungsarbeit über das springende Gen kurz vorstellen?
In unserer neuesten Studie haben wir das Erbgut von dicken und dünnen Mausstämmen miteinander verglichen, um Diabetesrisikogene zu identifizieren. Ähnlich wie beim Menschen ist auch bei Mäusen der Typ-2-Diabetes mit einer Adipositas assoziiert. Durch unsere Kreuzungsexperimente konnten wir einen Genbereich auf Chromosom 4 eingrenzen, der für Diabetes eine Rolle spielt und den wir mit Hilfe genetischer und molekularbiologischer Methoden genauer untersuchten.
Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?
Wir entdeckten nicht nur ein neues Diabetesgen, sondern auch einen neuen Mechanismus, der dicke Mäuse für Diabetes weniger anfällig macht. Ein Erbgutfragment, ein so genanntes springendes Gen oder Transposon, das bei einigen der von uns untersuchten Mausstämme natürlicherweise vorkommt, vermindert die Aktivität des Risikogens Zfp69. Wie wir zudem zeigen konnten, ist auch das entsprechende menschliche Gen, ZNF642, bei übergewichtigen Personen mit Diabetes verstärkt aktiv.
Was heißt das genau für die Zukunft des Typ-2-Diabetes?
Gene, die bei Mensch und Nager gleichsam das Diabetesrisiko beeinflussen, sind besonders geeignet, um einen Einblick in die Mechanismen der Diabetesentstehung zu bekommen. Daher werden wir die Funktion von Zfp69 und die Wirkung des Transposons am Tiermodell unter kontrollierten Bedingungen untersuchen und dann die Daten für den Menschen nutzen. Am Menschen wären solche Untersuchungen aus praktischen aber auch aus ethischen Gründen nicht möglich. Unsere Arbeit trägt wesentlich dazu bei, die komplizierten Krankheitsmechanismen aufzudecken. Sie schafft so eine Grundlage für die Entwicklung neuer Präventions- und neuer Behandlungsmethoden, die von der Gesellschaft dringend benötigt werden, um der Diabetesepidemie Herr zu werden oder ihr zumindest entgegenzuwirken.
Dass zu 50% das Erbgut neben der Ernährung und dem Lebensstil das Risiko für Typ-2-Diabetes beeinflusst, ist erstaunlich. Wie erklärt sich das?
Personen, die Verwandte ersten Grades mit Diabetes haben, haben ein etwa 3,5-fach erhöhtes Risiko, selbst zu erkranken. Ebenso belegen Zwillingsstudien, dass das Erkrankungsrisiko für Typ-2-Diabetes erblich ist. Wie wir heute wissen, handelt es sich beim Typ-2-Diabetes um eine “polygene” Erkrankung. Das heißt, dass nicht nur ein Gen, sondern mehrere Gene gleichzeitig an der Krankheitsentstehung beteiligt sind. Ihre genaue Zahl wissen wir nicht; derzeit sind jedoch 26 menschliche Gene oder Genregionen bekannt, die das Risiko, an Diabetes zu erkranken, beeinflussen.
Was sagen die Kritiker?
Hauptkritikpunkt ist, dass die Effekte der bisher identifizierten Diabetesrisikogene sehr klein sind und damit nur zu einem geringen Anteil die Erblichkeit der Erkrankung erklären. Die genetischen Zusammenhänge sind somit viel komplizierter als ursprünglich angenommen. Derzeit gehe ich davon aus, dass es genetische Modifikationen mit Wirkung auf das Diabetesrisiko gibt, die noch nicht identifiziert sind. Unsere neuen Daten könnten einen Weg weisen, idem sie zeigen, wie wichtig es ist, nicht nur die Gene selbst, sondern auch die Transposons in der Nähe der Gene genauer zu untersuchen. Bislang hatte man diese Regionen nicht mit der Erblichkeit von Diabetes und Adipositas in Verbindung gebracht. Aber: Auch wenn die genetischen Daten derzeit wenig zur Vorhersage des Diabetesrisikos beitragen, liefern sie schon jetzt gute Ansatzpunkte für die Entwicklung neuer Strategien in Prävention und Therapie.
Wie sieht die Therapie in der Zukunft aus?
Ich rechne damit, dass in den nächsten Jahren weitere Medikamentengruppen verfügbar werden, die die Stoffwechseleinstellung des Patienten mit Typ-2-Diabetes verbessern. Zudem liegt ein Schwerpunkt der Forschung darauf, individualisierte Therapiekonzepte zu erarbeiten. Denn wie unsere und die Daten anderer Studien zeigen, ist die Erkrankung heterogen; die Patienten sind individuell sehr verschieden. Ob individualisierte Behandlungsansätze auf dem persönlichen genetischen Profil basieren können, wird sich zeigen. Schließlich wird intensiv an der verbesserten Erkennung von Hochrisikopersonen gearbeitet, um frühzeitig Präventionsmaßnahmen beginnen zu können. Auf diesem Gebiet sind wir am weitesten; der Hausarzt könnte schon jetzt mit unserem Risikotest und einigen Messungen von Blutwerten das individuelle Diabetesrisiko sehr genau bestimmen.
Danke für das Interview
Pressekontakt
Susan Röse – Freie Journalistin
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