Neue Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln
IQWiG-Konzept für neue Methode der Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln. Gesundheitsökonomen und IQWiG favorisieren “Analyse der Effizienzgrenze”. Der Entwurf soll in den kommenden Monaten breit diskutiert werden.
Mit der letzten Gesundheitsreform (GKV-WSG) hat der Gesetzgeber die Aufgaben des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) erweitert: Bislang konnte es Arzneimittel nur in Hinblick auf ihren medizinischen Nutzen bewerten. In Zukunft soll das Institut jedoch ebenso die Kosten der Arzneimittel in Betracht ziehen und in ein Verhältnis zu dem zuvor ermittelten medizinischen Nutzen setzen. Am 24. Januar 2008 schlug das IQWiG eine Methode vor, die in den kommenden Monaten in der (Fach-)Öffentlichkeit breit diskutiert werden soll.
Entscheidungshilfe für die Selbstverwaltung
Laut Gesetz sollen die Ergebnisse des IQWiG einerseits dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen (SpiBu) als Grundlage dazu dienen, Höchstbeträge für bestimmte Medikamente festzulegen, die nicht in eine Festbetragsgruppe einbezogen werden können. Andererseits können die Ergebnisse des IQWiG dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) helfen, die Wirtschaftlichkeit von Therapien zu beurteilen. Denn bislang gibt es in Deutschland kein transparentes und formal akzeptiertes Verfahren, mit dem der medizinische Nutzen einer Behandlung gegen die dabei anfallenden Kosten abgewogen werden kann. Dies ist aber Voraussetzung für die Entscheidung, welche Kosten bei welchem Nutzen der Versichertengemeinschaft in angemessener Weise zugemutet werden können.
Prinzipiell für alle medizinischen Technologien geeignet
Das mit Unterstützung einer Gruppe internationaler Gesundheitsökonomen und unter Beratung des wissenschaftlichen Beirates des IQWiG entwickelte Konzept favorisiert die “Analyse der Effizienzgrenze”. Sie lässt sich sehr flexibel zum Vergleich der Kosten-Nutzen-Relation einer beliebigen Zahl von Therapiealternativen nutzen. Dieses Konzept schließt als zweites Element der Bewertung eine “Budget-Impact-Analyse” oder “Budget-Einfluss-Analyse” ein. Mit ihr lässt sich abschätzen, wie sich eine Entscheidung auf die Ausgaben im Gesundheitswesen insgesamt auswirken kann. Entwickelt wurde das Konzept als Antwort auf die Gesetzesreform, die in § 35b Sozialgesetzbuch V eine Bewertung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses für Arzneimittel vorsieht. Mit der vorgeschlagenen Methode können aber prinzipiell alle medizinischen Technologien bewertet werden.
Effizienzgrenze bildet bisher bestehende Kosten-Nutzen-Relationen ab
Gesundheitsökonomen bezeichnen eine medizinische Intervention im Vergleich zu einer anderen als “effizient”, wenn sie bei gleichen Kosten einen höheren Nutzen aufweist oder bei gleichem Nutzen kostengünstiger ist. Die “Effizienzgrenze” wird bildlich dargestellt als eine Kurve, die die effizientesten Maßnahmen verbindet. Die Koordinaten dieser Punkte werden zum einen bestimmt durch Nutzen-Einheiten. Diese bilden entweder direkt Aspekte patientenrelevanten Nutzens ab, wie etwa eine Verbesserung des Gesundheitszustandes oder der Lebensqualität, eine Verkürzung der Krankheitsdauer, eine Verlängerung der Lebensdauer oder eine Verringerung von Nebenwirkungen. Je nach Fragestellung kann es aber auch notwendig sein, aus diesen direkten Nutzenaspekten zunächst wertende Gewichtungen abzuleiten, um sie dann auf der Nutzen-Achse aufzutragen. Zum anderen sind es die Kosten, die die Lage der Punkte bestimmen: Auf der Kosten-Achse werden die Kosten abgebildet, die entstehen, um den zuvor bestimmten speziellen Nutzen zu erreichen. So macht die grafische Darstellung auf einen Blick deutlich, welche bestehenden Therapien effizient sind und welche nicht.
Mit Hilfe der Grafik lässt sich auch ein angemessener Preis für ein neues Medikament (“Höchstbetrag”) beschreiben: Bei Medikamenten, die nützlicher aber teurer als die bisher verwendeten sind, kann ermittelt werden, wo ihr Preis liegen müsste, damit das Kosten-Nutzen-Verhältnis im akzeptierten Effizienzbereich liegt.
Medizinischer Nutzen geht vor Kosten
Die Bewertung des medizinischen Nutzens ist durchweg mit einer höheren Priorität belegt als die Kosten-Nutzen-Bewertung. So bleibt der Nutzen Fundament der ökonomischen Entscheidung. Das bringt die Garantie, dass die für den Patienten tatsächlich wichtigen Nutzenaspekte in die Bewertung eingehen, wie etwa eine geringere Krankheitsdauer oder weniger Nebenwirkungen.
Der SpiBu kann auf Basis einer IQWiG-Kosten-Nutzen-Bewertung einen Höchstbetrag für Arzneimittel festlegen, bis zu dem die Krankenkassen zur Übernahme der Kosten verpflichtet sind. Die Hersteller können daraufhin den Preis senken oder auch nicht. Wenn sie dies nicht tun, werden die Patienten mit der Differenz zwischen Herstellerpreis und Höchstbetrag belastet. Das Prinzip der vorgeschalteten Nutzenbewertung stellt aber sicher, dass nur solche Arzneimittel einer Kosten-Nutzen-Bewertung unterzogen und danach möglicherweise nicht mehr voll erstattet werden, für die es eine zweckmäßige Alternative gibt.
Kein indikationsübergreifender Vergleich
Jede Erkrankung wird für sich bewertet, das heißt, es werden keine indikationsübergreifenden Vergleiche angestellt. Denn bislang lässt sich die Frage, ob Krebs “schlimmer” ist und damit möglicherweise höhere Ausgaben rechtfertigt als beispielsweise ein Schlaganfall, wissenschaftlich nicht beantworten. Die Antwort wäre immer durch subjektive Werturteile geprägt und könnte einzelne Patientengruppen benachteiligen.
Alle relevanten Therapiealternativen und Kosten einbeziehen
Um bei der Anwendung dieser Methode einen fairen Vergleich zu gewährleisten, müssen mehrere Bedingungen erfüllt sein: Zunächst müssen die relevanten Therapiealternativen für eine bestimmte Erkrankung darin abgebildet sein. Andernfalls könnte sich der Verlauf der Kurve ändern, was unmittelbare Auswirkungen auf die Höhe des angemessenen Preises hätte. Zudem müssen die wesentlichen Kosten berücksichtigt werden: Neben den Ausgaben der Krankenkassen können dazu auch Zuzahlungen der Patienten zählen.
Modellierung dient Abschätzung langfristiger Kosten
Beim Abwägen von Kosten und Nutzen sollte der zu betrachtende Zeitraum den Verlauf der Erkrankung sinnvoll abbilden. Klinische Studien sind aber in der Regel wesentlich kürzer angelegt, weshalb für die Kostenseite Modellrechnungen nötig sein werden. Wie jede Vorhersage sind solche Modellrechnungen allerdings mit Unsicherheiten behaftet. Das IQWiG wird überprüfen, wie sich diese Unsicherheiten auf die Ergebnisse auswirken können.
Kein internationaler “Goldstandard” verfügbar
Gemäß der gesetzlichen Vorgabe, nicht nur den Nutzen, sondern auch dessen Verhältnis zu den Kosten nach international anerkannten wissenschaftlichen Standards zu ermitteln, hat das IQWiG eine Gruppe von hochrangigen Gesundheitsökonomen aus acht Ländern beauftragt. Sie sollten prüfen, welche Ansätze und Werkzeuge sich für die speziellen deutschen Gegebenheiten eignen. Wie die Experten feststellten, gibt es keinen “Goldstandard” für gesundheitsökonomische Bewertungen, der international anerkannt ist. Zudem sind Verfahren aus anderen Ländern in der Regel nicht auf Deutschland übertragbar, weil sich die jeweiligen Gesundheitssysteme stark unterscheiden. Nach Auffassung des internationalen Gremiums wird die “Analyse der Effizienzgrenze” den Bedingungen in Deutschland am besten gerecht.
IQWiG wünscht sich gesellschaftlichen Konsens
Der jetzt präsentierte Vorschlag beschreibt den Rahmen der Methodik; Detailfragen sollen erst vorgestellt und diskutiert werden, wenn man sich über das Prinzip verständigt hat. “Weil es bei der Kosten-Nutzen-Bewertung nicht nur um rein wissenschaftliche, sondern auch um normative Fragen geht, brauchen wir einen gesellschaftlichen Konsens. Andernfalls würden Entscheidungen, die später aufgrund von konkreten Kosten-Nutzen-Bewertungen gefällt werden, nicht die nötige Akzeptanz finden”, sagt Institutsleiter Peter Sawicki. Die Methode trenne Spreu vom Weizen und motiviere die Hersteller, möglichst nützliche Produkte zu entwickeln. “Denn nur für diese Produkte wird sich ein höherer Preis erzielen lassen. So wird die Qualität in der Medizin steigen”, erwartet Sawicki.
Bis zum 31. März 2008 nimmt das IQWiG schriftliche Stellungnahmen entgegen und wird mit Gremien und Fachleuten aus Gesundheitswesen, Wissenschaft und Politik diskutieren. Eine erste große öffentliche Veranstaltung, die sich vor allem an wissenschaftlich Interessierte richtet, wird am 26. Februar 2008 in Berlin stattfinden. Nach Abschluss dieser Konsultationsphase wird das Institut die gültige Methodenversion publizieren.