Je breiter der Therapieansatz, desto mehr sinken die Folgerisiken des Diabetes. Ärzte sprechen von “multifaktorieller” Therapie
Viele Menschen mit Diabetes Typ 2 haben auch zu hohen Blutdruck und ungünstige Blutfettwerte. Darüber hinaus sind ihre Blutplättchen überaktiv, was die Blutgerinnung stört. Diese Konstellation steigert ihr Risiko für Organschäden und Herz-Kreislauferkrankungen beträchtlich. Eine Therapie, die diese weiteren Risikofaktoren neben dem Blutzucker berücksichtigt, senkt das Risiko von Folgeerkrankungen deutlich. Außerdem erhöht sich die Lebenserwartung dieser Patienten, bestätigen aktuelle Studien.
Folgerisiken des Diabetes glatt halbiert
“Eine an Zielwerten orientierte, multifaktorielle Therapie des Typ 2 Diabetes berücksichtigt alle vorhandenen Risikofaktoren. Dadurch können wir langfristig diabetische Folgeerkrankungen reduzieren und sowohl individuelles Leid als auch Kosten vermindern”, sagte Professor Dr. med. Stephan Matthaei vom Diabetes-Zentrum Quakenbrück bei der letzten wissenschaftlichen Tagung der Deutschen Diuabetes-Gesellschaft. “Die zielwertorientierte Therapie kann und sollte von allen behandelnden Ärzten umgesetzt werden”, betonte der Diabetologe.
Dass sich solche intensiven Bemühungen lohnen, zeigte eine Langzeitstudie aus Dänemark. In der STENO-Studie wurden 160 Diabetiker zunächst acht Jahre lang entweder “normal” oder “intensiv” behandelt. In der Intensivgruppe machten die Ärzte strenge Zielvorgaben zu Blutzucker, insbesondere auch zu Blutdruck- und Blutfettwerten sowie zur Ernährung und körperlichen Aktivität. Nach acht Jahren hatten die intensiv betreuten Patienten ihr Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten und für Folgeschäden an Auge, Niere und Nerven glatt halbiert (vgl. Kasten).
Sterberisiko um 20 Prozent gesenkt …
Kürzlich wurde die Studie erneut ausgewertet. “Die aktuelle Analyse der Daten nach 13,3 Jahren Studiendauer belegt, dass die Sterblichkeit in der intensiviert behandelten Gruppe um absolut 20 Prozent abnahm”, erläutert Professor Matthaei. “Eine multifaktorielle Therapie ist der herkömmlichen weit überlegen”, folgert Professor Matthaei. Ärzte könnten mit dieser umfassenden Behandlung die Lebensqualität ihrer Patienten deutlich verbessern.
… und Kostenlawine gebremst
Aber auch die gesellschaftlichen Kosten des Diabetes würden langfristig durch Vermeidung der teuren Folgeerkrankungen sinken. Zurzeit betragen die Gesamtkosten des Typ 2 Diabetes in Deutschland etwa 25 Milliarden Euro pro Jahr. “Die Kosten für das Gesundheitssystem werden noch weiter ansteigen, wenn wir unsere Patienten mit Typ 2 Diabetes nicht zielwertorientiert und multifaktoriell behandeln”, meinte Matthaei. Denn nach Einschätzungen der WHO nimmt die Zahl der Typ 2 Diabetes-Patienten in den nächsten Jahren weiter zu, von aktuell 240 Millionen auf 380 Millionen Patienten im Jahr 2025.
Insgesamt 160 Patienten mit Diabetes Typ 2 wurden in zwei Gruppen entweder konventionell vom Hausarzt oder intensiv multifaktoriell durch ein multidisziplinäres Team in einem Zentrum behandelt. In der vom Steno Diabetes Zentrum in Kopenhagen durchgeführten Studie wurden 80 Patienten, durchschnittlich 55 Jahre alt, während acht Jahren entweder leitliniengemäß mit Fokus auf den Blutzucker behandelt, oder sie erhielten eine Intensivtherapie, die außerdem auf die Behandlung von Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen, Mikroalbuminurie (Nierenfunktionsstörung) und die Vorbeugung von Infarktereignissen zielte. Dazu wurden neben Antidiabetika ACE-Hemmer, Statine, Aspirin und verschiedene Vitamine verordnet. Die Abnahme von glykoysliertem Hämoglobin (HbA1c), systolischem und diastolischem Blutdruck, Colesterol- und Triglyzeridspiegeln und Eiweißausscheidung der Niere – also aller sekundären Endpunkte -, war in der Intensivtherapie signifikant größer als bei konventioneller Behandlung. Die intensiv Behandelten hatten ein niedrigeres Risiko für kardiovaskuläre/Herz-Kreislauf-Erkrankung (HR = 0,47), Nephropathie (0,39), Retinopathie (0,42) und Neuropathie (0,37). Das Anstreben niedrigerer HbA1c-Werte und die Behandlung weitererer Risikokrankheiten senkte Herzinfarkte und Schlaganfälle über einen Zeitraum von acht Jahren um 44 Prozent im Vergleich zu 24% in der normal behandelten Gruppe.
Gaede P. et al., N Engl J Med 2003;348:383-393