Medizinische Versorgungszentren – die ersten Erfahrungen
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Medizinische Versorgungszentren – die ersten Erfahrungen
Dr. med. Dr. iur. Reinhold Altendorfer kennt aus der juristischen Begleitung nicht nur Rechtsunsicherheiten, sondern auch ganz banale Probleme, die der Verwirklichung von MVZ-Initiativen im Wege stehen.
Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) und Integrierte Versorgung (IV) – Begriffe, die seit In-Kraft-Treten des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes (GMG) für erhebliche Unruhe im deutschen Gesundheitswesen gesorgt haben. Die in § 140 a bis d SGB V statuierte Integrierte Versorgung zielt abstrakt auf die längst überfällige Verzahnung der verschiedenen Leistungssektoren (stationär, ambulant, Rehabilitation und Pflege) ab. Als konkrete Ausprägung davon ermöglichen MVZ, die fachübergreifende Kooperation unterschiedlicher Leistungserbringer und stellen damit eine moderne Gestaltungsvariante der medizinischen Dienstleistung dar. Die Vorteile der Errichtung von Medizinischen Versorgungszentren haben zwischenzeitlich nicht nur viele Ärzte erkannt; im Wettlauf dazu herrscht vor allem auch unter Klinikträgern zunehmend Aufbruchsstimmung: Wohl kein Verwaltungsdirektor, der nicht in Zeiten sinkender Patientenverweildauer, engmaschiger Fehlbelegungsprüfungen und existenzbedrohender Bettenreduzierung mit der Angliederung eines MVZs die “Flankierung des stationären Kerngeschäfts” zu erreichen sucht. Dennoch kommt der Entwicklungsprozess aus vielerlei Gründen nur schwerlich in Gang
Furcht vor Verlust von Selbstständigkeit und Freiberuflichkeit
So sind bereits die sozialgesetzlichen Grundlagen mit erheblichen Rechtsunsicherheiten behaftet: Zwar definiert der Gesetzestext MVZs als “fachübergreifende Einrichtungen”. Unklar ist hingegen schon, ob diese Nomenklatur ausschließlich auf unterschiedliche Facharztbezeichnungen abstellt oder auch unterschiedliche Schwerpunktbezeichnungen innerhalb des jeweiligen Fachgebiets miteinschließt (zum Beispiel Kardiologe, Nephrologe und Gastroenterologe). Die Differenzierung nur nach Fachgebieten scheint schon deshalb nicht mehr plausibel und zeitgerecht zu sein, weil die Wissenszunahme und die damit verbundenen Spezialisierungen eine Untergliederung in immer mehr Schwerpunkte erfordert.
Ein weiteres noch relativ ungeklärtes Rechtsproblem besteht in der Zulässigkeit der Gesellschaftsform. Während das Sozialgesetzbuch alle Organisationsformen (also auch die GmbH) vorsieht, hindern landesrechtliche Bestimmungen deren Verwirklichung. Mithin kann die Umsetzung einer bundesgesetzlichen Regelung an der Berufsordnung der Bundesländer scheitern – Schwächen eines in höchstem Maße an Kleinstaaterei erinnernden Gesundheitssystems. Ein Vertragsarzt kann nach den geltenden gesetzlichen Bestimmungen zwar ein MVZ gründen und betreiben. Grundsätzlich ist es ihm auch gestattet, seine Zulassung auf das MVZ zu übertragen, um dort als angestellter Arzt zu arbeiten. Paradoxerweise gilt er dann jedoch nicht mehr als zugelassener Leistungserbringer mit der Konsequenz, dass dem MVZ nach Gründung sogleich die Zulassung wieder entzogen würde.
Die Erfahrung aus der juristischen Begleitung vieler MVZ-Initiativen brachte aber noch weitere Probleme zum Vorschein. So stehen der Errichtung eines MVZ mit mehreren Ärzten oftmals ganz banale, aber durchaus nachvollziehbare Gründe entgegen: Mancher Vertragsarzt befürchtet beispielsweise den Verlust der Selbstständigkeit und Freiberuflichkeit. Bei anderen scheitert die erforderliche Praxisverlegung in die Räume des MVZs an den eigenen langfristigen Mietverpflichtungen. Vielfach steht die Ungewissheit in Bezug auf drohende Investitionskosten oder – vor allem bei langjährigen “Einzelkämpfern” – einfach nur die Scheu vor der engen Zusammenarbeit mit Kollegen im Vordergrund.
Von der Einzelpraxis zur funktionellen Einheit
Schließlich darf auch nicht vergessen werden, dass vor allem auf Seiten der Kassenärztlichen Vereinigungen die geschaffenen gesetzlichen Möglichkeiten nicht gerade Begeisterungsstürme hervorrufen und deshalb wohl auch nicht mit vollem Einsatz “beworben” werden.
Eignen sich doch MVZs durch die Verbindung von ärztlichen und nicht ärztlichen Heilberufen, durch die gemeinsame Anschaffung und effiziente Nutzung teurer Geräte und den schnellen und unkomplizierten Austausch zwischen den Fachrichtungen sowie durch den wirtschaftlich gezielten Einsatz von Arbeitskräften oder durch die zentrale Organisation als interessanter Vertragspartner für den Abschluss von Direktverträgen. Gerade dies könnte aber die Existenzberechtigung der Kassenärztlichen Vereinigungen zukünftig in Frage stellen.
Die ärztliche Leistungserbringung im deutschen Gesundheitswesen war bislang nicht von gravierenden Innovationen geprägt. Erfahrungsgemäß werden sich die nun unausweichlich gewordenen Veränderungen der über Jahrzehnte gewachsenen Strukturen nicht von heute auf morgen vollziehen. Fest steht aber, dass trotz vieler Hürden und Verhinderungstaktiken die Entwicklung von der Einzelpraxis zur funktionellen Einheit in der ambulanten medizinischen Versorgung nicht mehr aufzuhalten ist.
Die im GMG vom gesetzgeberischen Willen umfasste Erhöhung der Transparenz und Eigenverantwortung, die Schaffung leistungsfähigerer Strukturen sowie der Wettbewerb unter den Leistungserbringern führt zu einem Umdenken: Ohne dabei das ärztliche Ethos aus den Augen zu verlieren, bestimmen in Anlehnung an die freie Wirtschaft Angebot und Nachfrage, Qualität und Flexibilität die Erfolgskriterien des Wachstumsmarktes Medizin. Lukrative individuelle Vergütungsvereinbarungen, die Schaffung von neuen Einnahmequellen außerhalb der medizinischen Grundversorgung oder die moderne interdisziplinäre Kommunikation bedürfen neuer Organisationsstrukturen: Das Medizinische Versorgungszentrum stellt eine Alternative dar.
Dr. med. Dr. iur. Reinhold Altendorfer, Rechtsanwalt und Facharzt für Allgemeinmedizin
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