Diabetes>News war vor Ort und fand Optimismus und interessante Projekte.
Erstmals fand parallel zur CeBIT auch ein Kongress für Telemedizin statt. Diabetes>News war vor Ort und fand Optimismus und interessante Projekte.
Irgendwie denkt man nicht sofort an Medizin, wenn man das Wort CeBIT hört. Die immer noch weltgrößte Computermesse hat sich zwar in den letzten Jahren zu einem Verbraucherspektakel entwickelt, aber als Gesundheits-Show hat sie sich nicht hervorgetan. Um Show ging es auch in diesem Jahr nicht bei der Premiere von TeleHealth, doch der Fachkongress mit angegliederter Ausstellung fand im Rahmen der CeBIT im Kongresszentrum der Deutschen Messe in Hannover statt und beeindruckte statt mit Tanz und Trara durch eine Vielzahl von vorgestellten Projekten.
Die stammten aus allen Bereichen, die sich unter dem breiten Begriff Telemedizin finden, die einzelnen Sessions an den zwei Tagen waren überschrieben mit Telediagnostik, Telemonitoring, Sensorik & Datenübertragung, Datenbanken und Expertensysteme. Und natürlich durfte auch das am meisten diskutierte Telemedizin-Thema derzeit auf der Veranstaltung nicht fehlen, die elektronische Gesundheitskarte.
Sie hielt sich allerdings dezent im Hintergrund und wurde nur in den eröffnenden Worten von Gesundheitsstaatssekretär Dr. Klaus Theo Schröder pflichtbewusst erwähnt, “die Durchlässigkeit der Versorgungsstrukturen muss sich im Datenfluss widerspiegeln”, machte er eine Idee hinter dem Großprojekt klar. Das stehe momentan an der “praktischen Schwelle”, für die nächste Auflage des Kongresses 2008 erwartete Schröder keine Prototypen mehr, sondern die endgültigen Dienste, die bei der Gesundheitskarte zum Einsatz kommen. Als wichtigen Faktor nannte er die Interoperabilität der Systeme und verglich “Ein Telefonsystem mit zwei Teilnehmern ist relativ banal. Mit Millionen ist es ein wichtiger Faktor.”
Diabetiva-Projekt nutzt Telemedizin
Prof. em. Dr. med. Arnold Gries
Irgendwo zwischen zwei und Millionen angesiedelt ist momentan noch ein telemedizinisches Betreuungsprojekt für Diabetiker mit besonderem kardiovaskulärem Risiko, das Prof. em. Dr. med. Arnold Gries auf der Tagung vorstellte. Es handelt sich um ein von der Taunus Betriebskrankenkasse zusammen mit dem Düsseldorfer Anbieter PHTS Telemedizin im Rahmen eines Vertrages zur integrierten Versorgung für Diabetiker eingesetztes System mit dem Namen Diabetiva®, das zunächst auf Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt begrenzt ist.
Ziel sei allerdings eine flächendeckende Versorgung in ganz Deutschland, so Gries in Hannover. Der ehemalige Direktor des Deutschen Diabetes Zentrums Düsseldorf ist Mitglied des medizinischen Beirates von PHTS Telemedizin und machte das Ziel des Projekts klar: Schwerwiegenden Folgeerkrankungen wie Herzinfarkt, Schlaganfall oder diabetischem Fuß vorzubeugen. Folgeerkrankungen, “die wir früher Spätschäden genannt haben, die aber manchmal gar nicht so spät kommen”, wie er zu bedenken gab.
In der Praxis funktioniert die Versorgung so: Zunächst wird in der Arztpraxis ein kontinuierliches Glukosemonitoring-System von Medtronic angelegt, mit dem über einen Zeitraum von 72 Stunden die Blutzuckerwerte aufgezeichnet werden. Während dieses Zeitraums muss der Patient in vorgefertigten Formularen seine Lebensgewohnheiten dokumentieren: Nahrungsaufnahme, Insulingabe, Bewegung. Diese Daten werden von dem Facharzt an das telemedizinisch gestützte und damit ambulant einsetzbare interaktive Beratungsprogramm KADIS® (Karlsburger Diabetes-Management System) weitergeleitet, mit dem Institut für Diabetes “Gerhard Katsch” Karlsburg besteht eine Zusammenarbeit. Dort werden Informationen ausgewertet und die optimale Diabetes-Einstellung für den jeweiligen Patienten wird computergestützt erstellt.
Die Analyse wird dann wieder dem behandelnden Arzt zur Verfügung gestellt, der mit dem Patienten die Therapie festlegt. Diese Langzeitmessung erfolgt einmal jährlich. “Das Telemedizinische Zentrum ist nicht der Therapeut!”, kam Gries einer oft geäußerten Kritik an solchen Systemen zuvor. Für eine optimale Therapie erhalten die Patienten ein Blutzuckermessgerät von PHTS Telemedizin, mit dem sie regelmäßig ihre Blutzuckerwerte jederzeit per Telefon an das Telemedizinische Zentrum von PHTS in Düsseldorf übermitteln können.
Bei multimorbiden Patienten werden dort auch regelmäßig EKGs ausgewertet. Das Telemedizinische Zentrum ist rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr mit Ärzten und medizinischem Fachpersonal besetzt. All diese Daten werden von PHTS Telemedizin in einer elektronischen Patientenakte erfasst. Bei Abweichungen von therapeutischen Zielwerten gibt es ein Alarmzeichen und das Zentrum nimmt mit dem Patienten Kontakt auf. Es fordert auch per Telefon Daten ein und fragt nach Lebensqualität, Medikation oder Symptomatik. Reminder- und Schulungsfunktion nennt Gries diese Tätigkeiten.
Über die Plattform “Medical Record Online” (MROL) sind alle behandelnden Ärzte eines Patienten miteinander vernetzt, alle können auf die übermittelten Werte zugreifen und sich schnell und umfassend über den Krankheitsverlauf informieren. Darüber hinaus ermöglicht MROL Auswertungen des Krankheitsverlaufes. Fragen wie “Wie entwickelt sich der Blutzucker während der Tages- und Nachtzeit?” oder “Wie verändert er sich infolge der gewählten Therapie?” sollen so beantwortet werden. Studien aus dem Institut für Diabetes Karlsburg belegen, dass der HbA1c innerhalb von nur drei Monaten durch die telemedizinisch gestützte Behandlung signifikant verbessert werden kann.
Grenzenloses Teamwork im Prähospital
Was Projekte wie Diabetiva verhindern wollen, managt das Mobimed System schon seit 20 Jahren ebenfalls mit Mitteln der Telemedizin: Den akut kardial gefährdeten Patienten. Beim Herzinfarkt gilt “time is crucial, time is muscle”, verdeutlichte Prof. Dr. Bengt Arne Sjöqvist, Gesundheitsinformatiker und Vizepräsident der schwedischen Firma Ortivus den Hintergrund. “Telekardiologie, das ist nicht nur das Senden eines EKGs” betonte er am Anfang seiner Ausführungen und erinnerte daran, dass der erste Tag des Telehealth-Kongresses am 19. März fast mit dem Tag des ersten Telekardiograms, den 22.3.05, zusammenfiel.
Wohlgemerkt des letzten Jahrhunderts, denn niemand anderes als der Niederländer Willem Einthoven, Professor für Physiologie an der Universität Leiden und für seine grundlegenden Arbeiten zum Elektrokardiogram 1924 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet, sandte an diesem Tag auch die erste Fernversion des EKG vom Untersuchungsraum in sein Büro. Heute geht es jedoch um mehr als um die Bequemlichkeit eines Pioniers, es geht um das Teilen von Informationen, um die Unterstützung von Entscheidungen in der kritischen Phase des Herzinfarkts, eine Stunde entspricht 50 Prozent Mortalität, zitierte Sjöqvist eine schottische Studie.
Ein Sensor funkt über Bluetooth seine Werte, darunter ein 12-Kanal EKG, an einen Handcomputer, welcher mit einer beliebigen Kommunikationstechnologie wie dem Handy-Standard GPRS die Daten an ein Krankenhaus schickt. “Grenzenloses Teamwork im Prähospital” nennt er das Prinzip, schon auf dem Weg im Rettungswagen die richtigen Entscheidungen zu ermöglichen.
Und die schon auf der Fahrt ins Hospital gewonnenen Informationen direkt in die elektronische Patientenakte zu übernehmen, also eben nicht bei Null anzufangen, sobald der Patient durch die Tür kommt. In Schweden sind bereits 70 Prozent der Rettungswagen mit dem System ausgerüstet, mehr als 6.000 Ambulanzfahrzeuge europaweit sind es laut Sjöqvist. Und er konnte auch Erfolgszahlen berichten: Von 1995 bis 2005 ist die 30-Tages Mortalität nach Myokardinfarkt in Schweden um 10, laut einer anderen Untersuchung sogar um 30 Prozent gesunken. Nicht nur, aber eben auch wegen Telemedizin, wie sich Sjöqvist und sicher auch die anderen Experten mitten auf der CeBIT sicher sind.