Europa-Parlamentarier und internationale Diabetes-Organisationen fordern bessere Versorgung für Kinder mit Diabetes. UN-Resolution fordert bei Diabetes zum Handeln auf – Mitglieder des Europäischen Parlaments beraten in Brüssel mit Diabetes-Experten. Brüssel, 30. Januar 2007 – Die EU und ihre Mitgliedsstaaten stehen zunehmend unter Druck, in ganz Europa für alle an Diabetes erkrankten Kinder Zugang zu einer besseren und gleichwertigen Versorgung zu schaffen. Mitglieder des Europäischen Parlaments (MdEPs) haben heute in Brüssel den ersten Aufruf zur Verbesserung des Diabetes-Managements bei Kindern in Europa vorgelegt. Die Initiative wird von der ISPAD (International Society of Pediatric und Adolescent Diabetes) und der IDF (International Diabetes Federation) Europa unterstützt. Ebenfalls beteiligt waren Mitglieder der EU-Kommission.
“Der Zugang zu staatlich finanzierten modernen Behandlungsmethoden, angemessener Glukoseüberwachung und erreichbaren Versorgungseinrichtungen ist in allen Ländern begrenzt”, erklärte
Tony O´Sullivan, Vorsitzender der IDF Europa. “Noch bedeutsamer ist aber, dass wir die sozialen und psychologischen Folgen für das einzelne Kind und die betroffenen Familien kaum berücksichtigen. Besonders die Ängste und Sorgen der Eltern von Kindern mit Diabetes bleiben häufig unbeachtet.” Der Aufruf der Parlamentarier folgt der am 20. Dezember 2006 verabschiedeten UN-Resolution zu Diabetes, in der die Mitgliedsstaaten zur Entwicklung nationaler Konzepte zur Diabetesvorsorge, -behandlung und -versorgung aufgefordert werden. Die IDF und die Weltgesundheitsorganisation WHO haben das Jahr 2007 kürzlich zum “Jahr der Kinder und Jugendlichen mit Diabetes” erklärt und damit die Bedeutung dieser Erkrankung bei jungen Menschen unterstrichen. Bei über 90 Prozent aller Diabetesfälle bei Kindern und Jugendlichen handelt es sich um Typ-1-Diabetes, eine Autoimmunerkrankung, deren Entstehung nicht verhindert werden kann. Die Zahl der an Typ-1-Diabetes erkrankten Kinder und Jugendlichen wächst in alarmierendem Tempo: jährlich um 5 Prozent bei Vorschulkindern und um 3 Prozent bei Schulkindern und Jugendlichen. Insgesamt sind in Europa annähernd 100.000 Kinder betroffen. Wenn Diabetes bereits im Kindes- oder Jugendalter auftritt, sinkt die Lebenserwartung der Patienten um durchschnittlich 15 Jahre. Für Kinder und ihre Familien stellt Diabetes eine enorme Belastung dar. “Regelmäßig den Blutzucker zu messen und die richtige Insulinmenge zu bestimmen, um die Wirkung des Essens und körperlicher Aktivitäten auszugleichen, wird schnell bestimmend für das gesamte Leben”, berichtete Christiane Bartos, Mutter einer an Diabetes erkrankten siebenjährigen Tochter.
Ein Aufruf zum Handeln in Europa
“Die Verbesserung des Diabetesmanagements bei Kindern ist eine zentrale Herausforderung, der die EU begegnen kann, indem sie die Voraussetzungen für eine bessere Versorgung und eine bessere Ausbildung von Ärzten und Pflegekräften sowie der Patienten und ihrer Familien in ganz Europa schafft”, sagte Dr. Thomas Ulmer, Europaabgeordneter aus Deutschland, der die Initiative ins Leben gerufen hat.
Ein Netzwerk von Spitzenzentren (Centers of Excellence) auf dem Gebiet des pädiatrischen Diabetes, sagte Ulmer, könne wissenschaftliche Fortschritte für die alltägliche Praxis nutzbar machen:
• durch verbesserte Informationsweitergabe und Förderung optimaler Versorgung auf europäischer Ebene
• durch Anreize zur Entwicklung von Mindeststandards in der Versorgung
• durch die Erleichterung der Erfassung und Überwachung epidemiologischer und ökonomischer Daten
Professor Thomas Danne, Generalsekretär der ISPAD, erklärte hierzu: “Es kann sehr viel getan werden, um die Folgeerkrankungen von Diabetes zu verzögern oder sogar zu verhindern – sofern Zugang zu entsprechender Versorgung, Medikamenten und Diagnosegeräten gegeben ist. In Europa bestehen bei der Diabetesversorgung an pädiatrischen Zentren jedoch signifikante Unterschiede. Das Diabetesmanagement bei Kindern erfordert wegen des langen Nachtschlafs, spontaner Aktivitäten, unvorhersehbaren Essverhaltens, begrenzter Injektionsstellen und des verstärkten Ansprechens auf Insulin besondere Aufmerksamkeit. Daher sind bestimmte Therapiemittel, wie zum Beispiel Insulinpumpen, für Kinder besser geeignet als andere.”
Bis zu 50 Prozent der an Diabetes erkrankten Kinder entwickeln im Laufe ihres Lebens Folge- oder Begleiterkrankungen, zum Beispiel Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Nierenversagen, Erblindung oder Amputation von Gliedmaßen. Zudem kann eine häufige Unterzuckerung (Hypoglykämie) die kognitiven Fähigkeiten der Kinder beeinträchtigen. Man vermutet auch, dass schwere Hypoglykämien einer der Gründe für die im Vergleich zur Gesamtbevölkerung erhöhte Sterblichkeitsrate bei Kindern mit Diabetes sind. Eine weitere Komplikation, die besonders Kinder betrifft, ist die diabetische Ketoazidose (DKA). Dabei führt ein zu niedriger Insulinspiegel zu einem hohen Blutzucker und der Ansammlung von organischen Säuren und Ketonen im Blut. Die DKA ist die häufigste Morbiditäts- und Todesursache bei Kindern mit Typ-1-Diabetes, doch die Zahl der Betroffenen lässt sich durch frühzeitige Diagnose und optimales Krankheitsmanagement deutlich senken.
“Diabetes bei Kindern und Jugendlichen ist ein enormes Problem, das wegen der großen Zahl von erwachsenen Typ-2-Diabetikern nur allzu leicht übersehen wird. Ein stärkeres Problembewusstsein bedeutet eine bessere Versorgung”, sagte Tony O´Sullivan. “Der Übergang von der pädiatrischen Versorgung zur Erwachsenenversorgung ist bekanntermaßen eine der Hauptschwachstellen von Gesundheitssystemen und einer der zentralen Gründe für die abnehmende Motivation der Patienten zur Selbstversorgung. Europa kann und muss sich stärker um junge Menschen kümmern, die ein Leben mit Diabetes vor sich haben.” “Es ist unglaublich schwierig, ein spontanes und lebhaftes Kind in eine strenge Routine zu pressen”, ergänzte Christiane Bartos. “Da kann eine Behandlung, die mehr Flexibilität zulässt, das Leben wirklich erleichtern.” Laut Daten der IDF liegen die Kosten für Behandlung und Prävention von Diabetes und seinen Spätfolgen in Europa im Jahr 2007 bei mehr als 44 Milliarden Euro. Bis 2025 wird diese Zahl auf 57 Milliarden Euro steigen.