Elmauer Gespräche
Diabetes mit Seeblick
Aussagen zu IQWIG und Blutzuckermessung, die Bedeutung der Berufspolitik und ein Plädoyer für ein Screening, das gleich mehrfach die Chance auf Prävention bietet – all das boten die Elmauer Gespräche am Bodensee.
Mögest du in aufregenden Zeiten leben! Diesen chinesischen Wunsch zitierte Olaf Schulzeck als Gastgeber der von Roche Diagnostics ausgerichteten Elmauer Gespräche und bezog ihn sogleich auf das traditionelle Thema dieser Veranstaltung, die Diabetes-Versorgung in Deutschland.
Irgendwo zwischen Qualitätsanspruch und Kostendruck verliefen deren Wege momentan, so der Titel der Tagung, und ehrlicherweise wurde der Zusammenhang mit den laufenden Untersuchungen des IQWIG zur Blutzucker-Selbstmessung nicht geleugnet: In den nächsten Wochen werde der Vorbericht des Kölner Instituts erwartet, so Firmenvertreter, vorsorglich ermahnte Prof. Dr. med. Thomas Haak, Moderator des Symposiums, seine Kollegen zu Geduld.
Es sei wichtig zu wissen, dass der gesamte Prozess bis zur politischen Umsetzung eines IQWIG-Reports Diskussion ist, es gebe also von Ärzteseite keinen Grund zu vorauseilendem Gehorsam schon nach einem Vorbericht aus dem Hause Sawicki. Bei der Gesundheitsreform gäbe es viel Schatten, aber in Sachen IQWIG auch etwas Licht: Nach Aussage von Staatssekretär Schröder solle in diesem Rahmen auch neue Maßstäbe für die Kosten-Nutzen-Bewertung durch das Institut etabliert werden – “um die Vorgehensweise auf internationale Standards anzuheben”, wie Haak nicht ohne Genuss zitierte.
Das sei ein Prozess, den man im Sommer gestalten müsse. Auch im Hinblick auf das geplante Konstrukt “Diabetes Deutschland” kann man eine Aussage in der einführenden Rede des kommenden DDG-Präsidenten sehen: “Es ist keine originäre Aufgabe einer wissenschaftlichen Fachgesellschaft, Berufspolitik zu machen, dafür haben wir in den letzten Jahren eine relativ starke Kompetenz aufgebaut unter dem Dachverband Bund Deutscher Diabetologen”, betonte er.
Gegen die Schablone
Die Blutzucker-Selbstmessung sollte Standard bei allen Patienten und allen Typen des Diabetes sein, bezog Prof. Dr. med. Rüdiger Landgraf Stellung in der Frage, über die auch das IQWIG gerade brütet. Aber es sei nicht jeder Patient dazu geeignet, man müsse also schauen, wer profitiert, und dann ohne die allzu oft übliche Schablonisierung der Medizin individuell Teststreifen verordnen.
Im Unterschied zu den von KV zu KV höchst unterschiedlichen anerkannten Verordnungsmengen in Deutschland stünde weder in den Leitlinien der ADA, noch des englischen NICE oder der IDF konkrete Zahlen zur nötigen Anzahl. Bei einem vernünftigen Einsatz sei auch das Verhältnis von Kosten und Nutzen gegeben.
Landgraf wies auf die Diskrepanz zwischen der Rezeptur von Teststreifen und dem Ausnutzen des damit vorhandenen Instrumentariums hin. Der Rosso-Studie, die eine Risikoreduktion bei tödlichen und nicht-tödlichen kardiovaskulären Endpunkte unter Blutzucker-Selbstmessung gezeigt hatte, stellte er die aktuelle Freemantle Diabetes Study (FDS) gegenüber, die manche dieser Ergebnisse möglicherweise konterkarieren könnte – “mit großem Konjunktiv”, wie Landgraf einschränkte.
Sie fand an einem deutlich älteren Kollektiv zwar auch eine signifikant niedrigere Gesamtsterblichkeit bei Patienten unter BZSM, die nach Alter, Geschlecht und anderen Faktoren adjustierten Werte hatten aber diese Signifikanz verloren. Während Rosso eine retrolektive Untersuchung aus Praxendaten war, handelt es sich bei der FDS um eine prospektive Kohortenstudie, die nicht den Patienten-Alltag abbildet.
Ganz wichtig sei, so Landgraf, dass in beiden Studien nicht abgebildet ist, ob richtig gemessen wurde. Das sei angesichts von Daten wie aus der EDGAr-Studie, bei der zwei Drittel der Teilnehmer Fehler bei der Messung machten, ein Manko. “Die Schulung in Selbstkontrolle ist von ganz entscheidender Bedeutung wenn wir beurteilen wollen, ob Blutzuckerselbstmessung einen positiven Outcome in Richtung metabolischer Kontrolle oder klinischer Endpunkte hat”, schloss er daraus.
Gestationsdiabetes bietet Chance auf Prävention
Neben der unverkennbaren Aufmerksamkeit durch das IQWIG gibt es durchaus auch noch Bereiche, in denen Diabetes mit all seinen Folgen noch nicht so beachtet wird, wie es dem Umfang der viel beschworenen Epidemie entsprechen würde. Während sich dies beim Cardiodiabetes Stück für Stück ändert, gerade verabschiedeten die EADS und die europäische Kardiologen-Gesellschaft ESC gemeinsame Leitlinien für die wechselseitige Untersuchung auf ein gemeinsames Vorliegen von Diabetes und KHK, so kämpft der Gestationsdiabetes noch um Anerkennung.
Dr. med. Ute Schäfer-Graf verwies auf dem Symposium darauf, dass trotz steigender Prävalenz des Diabetes in der Schwangerschaft auf 2,15% im Jahr 2004 viele Fälle immer noch nicht erkannt werden. Daten verschiedener Projekte, in denen jede Schwangere einen oGTT (oraler Glukosetoleranz-Test) bekam, zeigen eine Prävalenz von 3 bis 6%. Einen oGTT böten zwar immer mehr Gynäkologen an, allerdings in Ermangelung der Erstattungsfähigkeit als IGEL-Leistung.
Neben den akuten Folgen für das Neugeborene bis hin zum Fruchttod belaste der GDM (Gestationsdiabetes = Schwangerschaftsdiabetes) das Kind und die Mutter mit einer “lebenslangen Hypothek”, warnte die Berliner Gynäkologin. Hunger- und Sättigungshormone seien durch intrauterine (Bezeichnung von Prozessen innerhalb der Gebärmutter) Prägung im Ungleichgewicht.
Kinder mit einem hohen BMI bei Geburt auf Grund von Makrosomie (beschreibt eine unverhältnismäßige Größe von Körperteilen oder Organen) wiesen bei Einschulung öfter Übergewicht auf. “Dies ist eine echte Möglichkeit der Primärprävention, die wir uns nicht entgehen lassen sollten”, appellierte Schäfer-Graf. Für die Mütter sei die Erkennung von GDM gleichbedeutend mit der Identifikation eines Risikokollektivs, denn bei ihnen wirke sich der ihm zugrundeliegende b-Zell-Defekt auch später aus: Zehn Jahre nach der Schwangerschaft hatte die Hälfte der Frauen mit GDM einen Typ-2 Diabetes.
“Ohne Screening entgeht uns die Chance auf Prävention und Lifestyle-Intervention”, schlussfolgerte sie. Die von der KBV zur Einführung eines solchen Screenings geforderten Evidenzen kommen nun langsam, neben der australischen ACHOIS-Studie sind es vor allem die für Juni 2007 auf dem ADA erwarteten Daten der HAPO-Studie, die damit wegen enormer Rekrutierungsprobleme gut drei Jahre später als geplant zur Verfügung stehen.
Immerhin: Der GBA (Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) ist das oberste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen in Deutschland) hat die Beratungen über das Screening wieder aufgenommen, die Aufnahme des oGTT in den Mutterpass scheint zu kommen, “ich denke wahrscheinlich bis 2009”, so Schäfer-Graf bei den Elmauer Gesprächen. “Wir sollten auf die Berufspolitik setzen!” war am Ende eine der Ratschläge von Haak angesichts der aufregenden Zeiten in der Diabetesversorgung, aber auch, die Prozesse zu gestalten, die man nicht aufhalten kann.