Diabetes-Risiko
“Mit sehr großer Präzision Diabetiker identifizieren”
Auch mit einfachen Variablen zum Ziel der präzisen Diabetes-Vorher- sage: Der DRS nutzt die breite Datenbasis der EPIC-Untersuchungen
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Der jetzt vorgestellte Deutsche Diabetes-Risiko-Score (DRS) vereint Präzision mit einfachen Fragen. Aufbauend auf den EPIC-Daten ermöglicht er vielleicht in Zukunft ein gezielteres Präventionsregime. Diabetes>News sprach mit Prof. Dr. Dr. Hans-Georg Joost vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke, das den Score entwickelt hat.
Diabetes>News: Mit dem DRS haben Sie ein Screening-Werkzeug entwickelt, das das Risiko angibt, in den nächsten fünf Jahren an einem Diabetes zu erkranken, und zwar ohne komplizierte Fragen nach medizinischen Details. Wie beruhigen Sie Diabetes-Ärzte, die den als weich empfundenen Parametern wie Bewegung, Ernährung und Lebensstil nicht die Präzision von Blutzucker- oder Cholesterinmesswerten zutrauen?
Prof. Dr. Dr. Joost: Der DRS beruht auf einer sehr breiten Datenbasis (27.548 Studienteilnehmer, 849 inzidente Diabetesfälle), die alle wichtigen Risikofaktoren wie Alter und Bauchumfang einschließt. Datenerhebung und Fallsammlung war prospektiv, so dass der DRS wichtige wissenschaftliche Kriterien erfüllt. Er erlaubt damit den Vergleich und die quantitative Wertung der verschiedenen Risikofaktoren. Wir haben die Vorhersagegenauigkeit des DRS mit der von Blutzuckertests verglichen und konnten zeigen, dass der DRS Diabetes besser vorhersagt als ein Nüchtern-Blutzucker-Test. Damit ist der DRS bereits jetzt ein sehr präzises Screening-Werkzeug. Um die Empfindlichkeit des Tests noch weiter zu erhöhen, arbeiten wir derzeit an einer erweiterten Variante des Scores, die auch klinisch-chemische Parameter berücksichtigt.
Diabetes>News: Kann man das quantifizieren? Wie sind die Zahlen für die vorliegende Variante?
Prof. Dr. Dr. Joost: Der Test bietet eine 80prozentige Spezifität bei einer Selektivität von nahezu 80 Prozent. Das heißt, dass mit einem bestimmten Cut off der Punktwerte 80 Prozent der zukünftigen Diabetesfälle identifiziert werden bei ca. 20 Prozent falsch Positiven.
Diabetes>News: Der Risiko-Score wurde mit Daten der Potsdamer EPIC-Studie erstellt und an Daten der Heidelberger EPIC-Studie, der Tübinger Familienstudie für Typ-2-Diabetes und der Studie “Metabolisches Syndrom Berlin Potsdam” validiert. Was waren die Anforderungen bei dieser Validierung, waren das die jetzt erreichten Sensitivitätswerte?
Prof. Dr. Dr. Joost: Wichtig ist, dass die Ergebnisse des DRS in unabhängigen, prospektiv angelegten deutschen Studienpopulationen bestätigt wurden. Die Validierung des DRS in der Heidelberger EPIC-Studie mit 23.398 Teilnehmern und 658 inzidenten Diabetesfällen führte zu exzellenten Ergebnissen. Besonders im kritischen Bereich mit dem höheren Risiko (bei Score-Werten ab 657 Punkte) weichen die Ergebnisse kaum ab. Das Risiko bei EPIC-Potsdam liegt hier bei 15,4 Prozent und bei der Heidelberger Studie bei 15,2 Prozent. Ich war selbst überrascht, wie gut das war.
Diabetes>News: Der Score ist durch die ausgewählten Parameter auch und gerade außerhalb der klinischen Praxis Punkte anwendbar – auch auf der berühmten Milchtüte?
Prof. Dr. Dr. Joost: Der Score hat jetzt zehn Fragen, die man natürlich auch auf eine Milchtüte drucken könnte. Aber bevor er auf einer Milchtüte abgedruckt wird, sollte man zunächst verschiedene Fragen abklären: Wer soll den Test machen, zieht die Person, die ihn durchführt, die richtigen Schlussfolgerungen und was will man letztlich erreichen? Wenn er dazu eingesetzt wird, um Personen, die ein hohes Risiko haben, dazu zu motivieren, das Risiko zu senken, dann muss das nicht unbedingt auf einer Milchtüte sein. Man könnte den Score auch über die Apotheken anbieten oder über die Krankenkassen an die Ärzte geben. Das sind Dinge, die wir überlegen und über die wir diskutieren. Solch eine Kampagne erfolgreich durchzuführen, ist nicht einfach. Einige Schwierigkeiten, die es zu überwinden gilt, sind mit bestimmten menschlichen Verhaltensweisen verbunden: Wenn Sie Fragebögen an Risikopersonen schicken, dann antworten die Personen mit dem höchsten Risiko eher nicht, sondern versuchen ihr Risiko zu verdrängen. Sie bekommen dann also eine Selektion von Gesunden, die sowieso motiviert sind, sich um ihre Gesundheit zu kümmern. Man muss also intensive Überlegungen anstellen, welche Maßnahmen man trifft, um dieses Risikosegment anzusprechen. Wir sind nicht so vermessen zu sagen “Mit unserem Score geht das besonders gut.” Das war nicht unser Ansatz. Unser Ansatz war, zunächst einmal möglichst genau zu messen, möglichst genaue Zahlen zu haben und hierauf basierend ein Instrument zu entwickeln, das Hochrisikopersonen in Deutschland mit großer Präzision identifiziert. Denn dies ist die Voraussetzung für eine Implementierung von flächendeckenden Präventionsmaßnahmen. Unserer Meinung nach gab es ein solches Instrument in Deutschland bisher nicht.
Diabetes>News: Wie unterscheidet sich der Test von Screening-Fragebögen wie den acht Findrisk-Fragen der Deutschen Diabetes Stiftung?
Prof. Dr. Dr. Joost: Es ist einfach die Präzision. Der Findrisk ist eine Adaption des finnischen Fragebogens, dem weitere Parameter hinzugefügt worden sind. Diese sind als Risikofaktoren sinnvoll und bekannt, aber ihr quantitativer Beitrag zum Risiko ist geschätzt. Außerdem ist die Datenbasis des Originals Findrisk erheblich schmaler als unsere; eine Validierung des Findrisk-Scores in der deutschen KORA-Kohorte ergab eine sehr niedrige Sensitivität und Spezifität. Dagegen basiert der DRS meines Wissens nach auf einer der weltweit größten Datengrundlagen. Zudem haben wir eine prospektive Analyse durchgeführt. Bei einer prospektiven Studie werden Menschen zu ihrem Lebensstil und ihren Essgewohnheiten befragt, bevor sie die Erkrankung entwickelt haben. Diese Methodik ist zurzeit die exakteste in der Epidemiologie und wird für Risikoscores auch gefordert.
Diabetes>News: Und wie groß sind die Unterschiede zu ähnlichen Scores anderer Länder?
Prof. Dr. Dr. Joost: In den USA gibt es fünf Diabetes-Risiko-Scores, die auf prospektiven Studien basieren, die aber einen Blutzuckertest und Angaben zu Laborwerten erfordern. Ein ganz wesentlicher Unterschied liegt aber in der Berücksichtigung der Ballaststoffaufnahme. Die Ballaststoffaufnahme über Vollkornbrot ist ja etwas typisch deutsches. Wir konnten zeigen, dass es tatsächlich ein eindeutiger Risikofaktor ist, wenig Vollkornbrot zu essen. Die Frage nach dem Vollkornbrotverzehr kommt in den USA nicht vor. In Finnland wird nach dem Verzehr von Gemüse und Beeren gefragt. In unserer Studie gab es zumindest keinen signifikanten Zusammenhang zwischen Gemüseverzehr und Diabetes-Risiko. Ein anderer Punkt ist, dass sehr wahrscheinlich genetische Unterschiede zwischen den Studienpopulationen verschiedener Länder bestehen. Ich halte es deshalb für fraglich, ob Scores, die in Finnland oder den USA entwickelt wurden, in Deutschland oder einer anderen europäischen Population die erforderliche Präzision der Vorhersage liefern.
Diabetes>News: Wird der Score dann in zwei Varianten angeboten werden, einer einfachen und einer mit klinischen Parametern?
Prof. Dr. Dr. Joost: Ja, das ist unser Ziel. Außerdem arbeiteten unsere Kooperationspartner aus Tübingen um Prof. Häring daran, Faktoren zu identifizieren, mit deren Hilfe man den DRS noch weiter präzisieren kann und anhand derer man gleichzeitig vorhersagen kann, ob eine Prävention erfolgreich sein wird oder nicht. Eine andere Idee für die Zukunft wäre, die Durchführung einer präventiven Pharmakotherapie mit Acarbose, Metformin oder andere Wirkstoffen vom Risiko abhängig zu machen. Ich kann mir vorstellen, dass man eines Tages sagt, es gibt Personen, bei denen wirkt eine Lifestyle-Intervention nicht, denen ist geholfen, indem man ihnen ein Medikament gibt, das präventiv wirkt. Ich glaube, dass gute Risikoscores geeignet sind, zur Indikationsstellung beizutragen. Diese Bewertung kann dann aber ausschließlich von ärztlicher Seite erfolgen.
Diabetes>News: Nun gibt es ein einfach zu handhabendes Screening-Instrument. Wie soll es in der Praxis eingesetzt werden, wie ist beispielsweise die Kooperation mit der AG Prävention des Typ 2 Diabetes der DDG oder dem Nationalen Aktionsforum Diabetes, auf deren 2. Vollversammlung im März Sie referiert haben?
Prof. Dr. Dr. Joost: Es gibt zurzeit Gespräche mit dem Nationalen Aktionsforum, dem wir den Score zur Verbreitung und zur weiteren Verwendung gern zur Verfügung stellen.
Das Interview führte Marcus Sefrin.