Stuttgart – Die Zahlen sind alarmierend: Jeder achte Mensch mit Diabetes leidet an einer Depression, bei jedem fünften Patienten liegt eine erhöhte Depressivität vor. Depressionen sind nicht nur für Patienten belastend. Sie stellen eine wesentliche Barriere für eine gute Diabeteseinstellung dar, erhöhen das Risiko für Folgeerkrankungen und verkürzen die Lebenserwartung. Umgekehrt haben stoffwechselgesunde Menschen mit einer Depression auch ein erhöhtes Risiko für Diabetes Typ 2. Beide Erkrankungen werden jedoch häufig erst spät erkannt. Dies kann den Erfolg einer Diabetestherapie gefährden. Eine rechtzeitige Diagnose und Therapie kann die Prognose hingegen verbessern. Über neueste Erkenntnisse zu Diabetes und Depressionen diskutieren Diabetologen und Psychologen im Rahmen des Diabetes Kongresses 2012 vom 16. bis 19. Mai 2012 im Internationalen Congresscenter Stuttgart. Privatdozent Dr. Dipl.-Psych. Bernhard Kulzer erläutert auf der Vorab-Pressekonferenz am 10. Mai 2012 Diagnose- und Therapiemöglichkeiten bei Depressionen.
Etwa sechs Prozent der Allgemeinbevölkerung sind aktuell an einer Depression erkrankt, etwa 18 Prozent erkranken im Laufe ihres Lebens. Menschen mit Diabetes, sowohl junge mit Diabetes Typ 1 als auch ältere mit Diabetes Typ 2, leiden etwa doppelt so häufig darunter. Umgekehrt haben Menschen mit einer Depression ein deutlich erhöhtes Risiko, an einem Typ-2-Diabetes zu erkranken, der bei vielen Betroffenen ebenfalls lange unentdeckt bleibt. Forscher versuchen, die Ursache für diese Beziehung herauszufinden und Therapiemöglichkeiten zu entwickeln. Aus Studien wird deutlich, dass das Leben mit Diabetes für viele Menschen doch eine ernstzunehmende Belastung, einen Stressfaktor darstellt. Wie eine neue, bevölkerungsbasierte Studie in Deutschland zeigt, die auf dem Diabetes Kongress 2012 vorgestellt wird, ist die Lebensqualität von Diabetikern im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung deutlich reduziert. Psychischer Stress führt bei Menschen mit Diabetes durch eine ständige Aktivierung der Stressachse unter anderem zu Entzündungsprozessen an den kleinen wie großen Gefäßen, welche bei Diabetikern besonders gefährdet sind. Dies ist eine wesentliche Ursache für das erhöhte Risiko von depressiven Menschen mit Diabetes, Folgeerkrankungen des Diabetes zu entwickeln. Prognostisch ungünstig ist ebenfalls, dass durch psychischen Stress die Wirkung des Insulins beeinträchtigt wird.
„Eine erhöhte Depressivität wie auch klinische Depressionen sind sowohl ein körperliches als auch ein seelisches Problem“, sagt Privatdozent Dr. Dipl.-Psych. Bernhard Kulzer,Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Psychologie der Deutschen Diabetes Gesellschaft und Geschäftsführer des Forschungsinstituts der Diabetes-Akademie Bad Mergentheim (FIDAM). Das zeige sich auch an der Symptomatik: Depressionen können sich auf eine sehr unterschiedliche Art und Weise äußern. Neben tiefer Niedergeschlagenheit, Mut- und Hoffnungslosigkeit leiden Betroffene häufig auch unter Angstgefühlen sowie Schlafstörungen oder körperlichen Schmerzen. „Um bei Menschen mit Diabetes schlechte Blutzuckerwerte und Folgeerkrankungen zu vermeiden, ist es wichtig, sowohl eine erhöhte Depressivität als auch eine Depression früh zu erkennen und zu behandeln”, betont Dr. Kulzer. Denn Depressionen im Zusammenhang mit Diabetes stellen nicht nur ein körperliches Risiko dar, sondern sind zudem eine häufige Ursache für Arbeitsunfähigkeit und frühzeitige Berentung. „Rechtzeitig diagnostiziert, sind Depressionen gut therapierbar, entweder mit Antidepressiva, Verhaltenstherapie oder einer Kombination aus beidem“, so der Psychologe.
Experten diskutieren im Rahmen des Diabetes Kongress 2012, der 47. Jahrestagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft, in mehreren Symposien über Diabetes, Depression und die Therapieoptionen. Privatdozent Dr. Dipl.-Psych. Bernhard Kulzer erläutert das Thema im Rahmen der Vorab-Pressekonferenz.