Durch die aktuelle ROSSO-Studie erstmals wissenschaftlich belegt: SMBG senkt die Morbiditäts- und Mortalitätsrate von Typ-2-Diabetikern signifikant – unabhängig vom aktuellen Therapieregime.
Ein alter Hut, aber längst noch nicht bei jedem Arzt und Patienten angekommen ist die Erkenntnis, dass ein gesundheitsbewusster Lebensstil die Grundvoraussetzung für ein erfolgreiches Management des Typ-2-Diabetes schafft. Mit einer aktuellen Studie wurde nun zum ersten Mal wissenschaftlich belegt, dass die Selbstmessung der Blutglukose (SMBG) entscheidend zu einer Verbesserung des Lebensstils beitragen und damit das Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko senken kann. Die Ergebnisse der ROSSO-Studie (Retrolective Study Self-Monitoring of Blood Glucose and Outcome in Patients with Type 2 Diabetes) wurde am 13. Juni 2005 im Rahmen der 65. Jahrestagung der Amerikanischen Diabetes Gesellschaft (ADA) in San Diego, USA, erstmals der internationalen Fachöffentlichkeit vorgestellt.
Die Daten für die multizentrische Kohortenstudie stammten von 3.268 Patienten aus 192 repräsentativen Hausarztpraxen im gesamten Bundesgebiet. Die Studie dokumentierte alle Patienten in diesen Praxen, bei denen von 1995 bis 1999 erstmals ein Diabetes-Typ-2 diagnostiziert wurde und die zum Zeitpunkt der Diagnose 45 Jahre oder älter waren. Die Studie basiert auf den Daten von 3.268 Patienten und umfasst einen mittleren Beobachtungszeitraum von 6,5 Jahren. Damit stehen rund 20.000 Patientenjahre zur Analyse zur Verfügung. Die Studie wurde von November 2003 bis Juni 2004 durch das Deutsche Diabetes-Zentrum (DDZ) in Düsseldorf in Kooperation mit dem Profil Institut für Stoffwechselforschung in Neuss durchgeführt und finanziell durch ungebundene Forschungsgelder (unrestricted research grant) des Unternehmens Roche Diagnostics unterstützt. Von den insgesamt 3.268 Patienten kontrollierten 1.479 ihre Blutzuckerwerte selbst, 1.789 taten dies nicht. Die Statistiker verglichen die Morbiditäts und Mortalitätsraten von Patienten, die ihren Blutzucker seit mindestens einem Jahr selbst kontrollierten, mit den Daten von Patienten ohne entsprechende Blutzucker-Selbstkontrolle.
“Diagnostische Maßnahme mit psychologischen Konsequenzen.”
Das Design dieser epidemiologischen multizentrischen Kohortenstudie mit einem in die Vergangenheit verlegten Startpunkt lieferte dabei aussagekräftige Daten in der Evidenzklasse 2b. Eine randomisierte Studie, bei der die eine Patientengruppe mit Typ-2-Diabetes über sechs bis sieben Jahre keine SMBG durchführen darf, während die andere Gruppe sehr häufig den Blutzucker messen muss, ist ethisch nicht vertretbar. “Insofern kann dieser Zusammenhang nur durch eine epidemiologische Beobachtungsstudie, wie in der ROSSO-Studie geschehen, analysiert werden”, erläuterte Prof. Dr. rer. nat. Hubert Kolb vom Deutschen Diabetes-Zentrum (DDZ), Düsseldorf, während der Präsentation der Studienergebnisse in Frankfurt am Main.
Mit der ROSSO-Studie wurde die Effektivität der Blutzucker-Selbstkontrolle erstmals nicht mit einem Surrogatparameter wie dem HbA1c-Wert, sondern anhand “harter Endpunkte” untersucht. Die definierten nicht tödlichen Endpunkte (Morbidität) waren Myokardinfarkt, Schlaganfall, Fußamputation, Erblindung oder die Notwendigkeit einer Hämodialysebehandlung. Für die Ermittlung der Mortalitätsrate wurden alle Todesfälle unabhängig von der jeweiligen Todesursache analysiert. Für das Gesamtkollektiv ergaben die statistisch adjustierten Studiendaten, dass das Morbiditätsrisiko in der Gruppe mit SMBG um etwa ein Drittel und das Mortalitätsrisiko sogar um etwa die Hälfte niedriger lag. Auch für die Subgruppe der nicht insulinpflichtigen Typ-2-Diabetiker war das Morbiditätsrisiko ebenfalls um etwa ein Drittel und das Mortalitätsrisiko um rund 40 Prozent niedriger.
“Die ROSSO-Studie hat damit gezeigt, dass die Blutzucker-Selbstkontrolle die Lebenserwartung und Lebensqualität von Patienten mit Typ-2-Diabetes deutlich steigern kann – und zwar unabhängig vom aktuellen Therapieregime des jeweiligen Diabetikers”, erklärte Prof. Dr. med. Stephan Martin vom DDZ.
“Die SMBG ist deshalb als integraler Bestandteil eines modernen Diabetesmanagements bei Typ-2-Diabetes zu werten”, folgerte der leitende Oberarzt der Deutschen Diabetes-Klinik am DDZ. “Der Patient kann anhand dieses ’Biofeedbacks’ jederzeit und unmittelbar prüfen, welche Nahrungs- und Genussmittel und welche Verhaltensweisen sich günstig oder ungünstig auf seinen Blutzuckerspiegel auswirken. Dies verbessert seine Compliance und stärkt seine Eigenverantwortung.” Die Studienleiter sehen in der SMBG daher nicht nur eine wichtige Bewertungsgrundlage für den Erfolg der ärztlichen Therapie beziehungsweise der Lebensführung des Patienten, sondern auch ein Motivationsinstrument, das sich positiv auf den Lebensstil des Typ-2-Diabetikers auswirkt und damit die Betreuung durch den behandelnden Arzt sinnvoll ergänzt.
“Oft gibt es Studien, die zwar statistisch signifikant, aber klinisch nicht relevant sind – diese Frage brauchen wir uns hier nicht zu stellen”, kommentierte der für das umfangreiche Monitoring der Daten verantwortliche Geschäftsführer des Profil Instituts für Stoffwechselforschung, Prof. Dr. rer. nat. Lutz Heinemann, das Studienergebnis. Mit Bezug auf die Ergebnisse der finnischen Präventionsstudie ergänzte Martin: “Wir wissen inzwischen, dass geringfügige Veränderungen im Lebensstil dramatische Effekte haben können. Das heißt, wir können durch viele Kleinigkeiten, die leichter durchzuhalten sind als große Veränderungen, dramatisch viel erreichen.” Die ROSSO-Studienergebnisse liegen, so Martin, inzwischen dem Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen vor.