Adipositas und der Einfluss von Fastfood auf die Appetitkontrolle
Fastfood und Fertigprodukte haben großen Einfluss auf die Appetitregulation. “Der Gefräßig-Macher” ist ein Buch mit der Thematik Regulation von Appetit und Sättigung. Interview von Susan Röse mit Prof. Dr. Hermanussen
Herr Prof. Dr. Hermanussen, können Sie sich bitte kurz vorstellen (wer sind Sie, wo arbeiten Sie, welche Studie betreuen Sie aktuell, welche noch offenen Fragen werden geklärt)?
Ich bin Kinderarzt und Professor an der Christian-Albrecht-Universität Kiel. Teilweise arbeite ich als niedergelassener Kinderarzt in meiner Praxis, teilweise betreue ich Studenten und bin in der Forschung tätig. Meine Arbeitsgebiete sind Wachstum und Entwicklung von Kindern, seit etwa 7 Jahren beschäftige ich mich insbesondere mit Fragen zu Adipositas und Sättigungsregulation.
Kann man heute von einer Adipositas-Epidemie sprechen?
Ich halte diesen leider sehr oft benutzten Ausdruck für eher problematisch. Von einer Epidemie spricht man, wenn es um ansteckende Erkrankungen geht. Das ist natürlich bei der Adipositas nicht der Fall.
Ist die Adipositas eine Essstörung?
Natürlich ist die Adipositas eine Essstörung. Ich finde es aber viel interessanter zu fragen, warum es zu dieser Essstörung kommt.
Ist das Fastfood verantwortlich für die Adipositas?
Wir wissen, dass gemeinsam mit der weltweiten Verbreitung von Fastfood-Ernährung die Menschen dicker werden. Es ist aber nicht wirklich klar, warum das so ist. Die gängige Vorstellung – Fastfood enthalte zu viel Fett und mache deshalb dick – ist sicher falsch. Fastfood scheint eine Reihe von verschiedenen Mechanismen auszulösen, die die Regulation des Appetits unterlaufen.
Wie groß ist der Einfluss von Fastfood auf die Appetitregulation?
Das ist schwierig zu beantworten und zum heutigen Zeitpunkt sicher nicht wirklich bekannt.
Was sagt der “Gefräßig-Macher” dazu? (Können Sie bitte erst in ein- bis zwei Sätzen Ihr Buch vorstellen und dann die Frage beantworten?)
Wir betrachten die Adipositas als einen Ausdruck gestörter Sättigungsregulation. In unserem Buch “Der Gefräßig-Macher” beschreiben wir einen wichtigen Faktor in dieser Regulation – das Glutamat – und zeigen, auf welche Weise diese Substanz in die Regulation von Appetit und Sättigung eingreift. So können wir relativ unmittelbar zeigen, warum das übliche Fett- und Kaloriensparen der falsche Weg zu einer Behandlung des Übergewichtes ist. Wie beim Puzzeln legen wir in unserem Buch wissenschaftliche Veröffentlichungen zu einem neuen Bild der Sättigungsregulation zusammen. Wir berichten – hoffentlich allgemeinverständlich – über die biochemischen Zusammenhänge zwischen unserer täglichen Kost, der Appetitregulation im Hirn und unserem Stoffwechsel und unternehmen kleine Ausflüge zu Insulin, Fastfood und Geschmacksempfindungen. So wird für den interessierten Laien deutlich, wie der so genannte Geschmacksverstärker Glutamat, aber auch der Eiweißgehalt unserer Nahrung, auf unser Essverhalten einwirkt.
Was ist Kindergesundheit24?
www.Kindergesundheit24.de ist ein kostenloses, sponsorenfinanziertes Online-Vorsorgeportal für Eltern, Kinder und Jugendliche. Das hat es in dieser Form bisher nicht gegeben. Indem wir mit Hilfe einer komplexen Software nach Körpergröße, Körpergewicht und – je nach Alter und Geschlecht des Kindes – nach einer Vielzahl standardisierter Details fragen, gelingt es, den jeweiligen Entwicklungsstand des Kindes automatisch zu beurteilen. Auf diesem Wege können viele Entwicklungsstörungen bereits über ein Internetportal, d.h. ohne Zutun eines Arztes, früh erkannt und ggf. die kinderärztliche Behandlung zum frühestmöglichen Zeitpunkt vorbereitet werden. Das Portal wird von international anerkannten Spezialisten auf dem Gebiet der Wachstumsforschung mitbetreut.
Sollte sich der Verbraucherschutz mehr dem Schutz unserer Kinder widmen?
Die Werbung suggeriert, dass viele Produkte eine normale Ernährung mit frischem Obst und Gemüse vom Markt ersetzen, dabei ist der Zuckeranteil in solchen künstlichen Produkten sehr hoch. Nicht nur der Zuckeranteil ist ein Problem in der kindlichen Ernährung. Wir wissen seit vielen Jahren, dass – ganz entgegen allgemeiner Routineempfehlung – auch der Eiweißanteil in der kindlichen Kost zur späteren Entgleisung des Körpergewichtes beiträgt. Auch die heute üblichen Ideen zu Fettkonsum und Adipositas sind großenteils überholt. Es hat sich in den letzten Jahren sehr viel neues Wissen angesammelt, das bisher aber kaum zur Kenntnis genommen und von der Werbung komplett ignoriert wird. Das ist sehr betrüblich.
Wie können wir Ihrer Meinung nach der Adipositas Epidemie wirksam begegnen?
Wir wissen, dass die Adipositas noch vor 30 Jahren kein Problem war. Wenn wir uns so ernähren und annähernd so bewegen wollten, wie es noch unsere Eltern getan haben, ginge es uns bedeutend besser. Wir sollten also vor allem darauf achten, den Konsum von Fastfood und Fertiggerichten erheblich einzudämmen – die industrielle Aufbereitung der Nahrung scheint für unsere Sättigungsregulation ein großes Problem zu sein – und unseren Eiweißkonsum zu beschränken. Das ist nicht schwer und bedeutet: weniger Fleisch und Fleischprodukte, weniger Milch und Milchprodukte und die Rückkehr zu einer eher (aber nicht notwendigerweise ausschließlich) vegetarischen Kost. Lassen Sie sich nicht von der Milchwerbung beeinflussen! Wir sind keine Kälber, die überwiegend von Kuhmilch leben. Und der allgegenwärtige Fanatismus hinsichtlich kalziumreicher Kost ist wissenschaftlich nicht begründet.
Pressekontakt
Susan Röse – Freie Journalistin
Avenariusstraße 15
22587 Hamburg/Germany